philosophische Splitter

Jochen Ebmeier’s fragmentarische Weltkunde

dornauszieher_musei_capitolini_ (verflixter Splitter!)

“Viele Werke der Alten sind Fragmente geworden. Viele Werke der Neuern sind es gleich bei der Entstehung.”

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Friedrich Schlegel in: Athenäum

Es gibt nichts Unbestimmtes.

Das logisch Unbestimmte ist phänomenal (entwicklungsgeschichtlich, genetisch) ein Zubestimmendes; nicht unbestimmt, sondern bestimmt als ein mit einem Mangel Behaftetes. Es ist als Frage gegeben. Es begegnet nicht als etwas, das im allgemeinen Verweisungszusammenhang der Bedeutungen keinen Platz hat, sondern als eines, dessen Platz noch aufzufinden ist. Es ist (schon) eine Aufgabe.

Dem Tier begegnet in seiner geschlossenen Umwelt nichts schlechthin Bedeutendes, sondern immer schon ein Dieses-Bedeutendes. Was in seiner Umwelt nichts zu bedeuten hat, begegnet ihm nicht als unbedeutend, sondern begegnet ihm so-gut-wie-gar-nicht. Das Gesamt aller ihm möglichen Bedeutungen ist in seiner Umwelt, als seine Umwelt abgeschlossen. Es ist kein zu realisierender Verweisungszusammenhang, sondern realisiert sich selber als ein Dieses-hier-und-jetzt.

Der logischen Betrachtung erscheint das Reich der Bedeutungen als gegeben, der transzendentalen Betrachtung erscheint er als gemacht.

Unintelligent design.

Immer, wenn ich mir so die Welt ansehe, sag ich mir: Das hätte man aber auch besser machen können.

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Der nachhaltige Grund für unsere Ironie ist dieser: dass das Absolute, das der Mensch als ihm vorausgesetzt annehmen muss, wenn er überhaupt irgendwas ernstnehmen will, nur eine Fiktion ist – um des Ernstnehmens willen. Der Grund, auf dem all unsere Gewissheit ruht, ist in Wahrheit ein virtuoser Sprung über den Abgrund. Aller Ernst ist nur Als-ob. Aber ohne dies wäre gar nichts.

Naturkundemuseum

Die Menschen ändern sich von selbst, wenn man sie nicht ausdrücklich ändern will, sondern ihnen nur unmerklich die Gelegenheit macht zu sehen und zu hören. Viele Unternehmungen mißlingen bloß, weil man die Früchte davon noch gerne erleben wollte.

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Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft J, N°218

Kinder sind…

Chèvre, Hahnenkampf

…deshalb im ganzen am schönsten, weil in ihnen noch alle Partikularitäten wie in einem still verschlossenen Keime schlummern, indem noch keine beschränkte Leidenschaft ihre Brust durchwühlt und keines der mannigfaltigen menschlichen Interessen sich mit dem Ausdruck / seiner Not den wandelnden Zügen fest eingegraben hat. In dieser Unschuld aber, obschon das Kind in seiner Lebhaftigkeit als die Möglichkeit von allem erscheint, fehlen dann auch ebenso sehr die tieferen Züge des Geistes, der sich in sich zu betätigen und zu wesentlichen Richtungen und Zwecken aufzutun gedrungen ist.

Hegel

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G.W.F. Hegel, Ästhetik, (Hotho-Ausgabe), Frankfurt a. M., o. J., Bd. I, S. 153f.

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Vernunft “ist”…

scultore

Vernunft kann, wenn  überhaupt, nur als self-fulfilling prophecy “sein”.

Pygmalion und Galatea

universum fractal

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Der Sinn der Welt ist, dass Vernunft in ihr verwirklicht wird.

Das sagt über die Vernunft fast mehr als über die Welt.

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Ist es nicht merkwürdig, dass für die Philosophie Vernunft schon so lange kein Thema mehr ist? Am Beginn des modernen Zeitalters war sie ihr Anfang und ihr Ende.

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das Wappen des Gegenpapstes Benedikt XIII.

‘Die Wissenschaft’ und ‘die Kunst’ sind mit einander entstanden. Sie verhalten sich zu einander wie Autorität und Anti-Autorität; wie Papst und Gegenpapst.

Die eine ist Amtskirche, die andere Ecclesia abscondita; aber militans.

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Unser Geist ist…

Lava, Meer, Schaum

Unser Geist ist Verbindungsglied des völlig Ungleichen.

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Novalis, Blütenstaub N°10

wuerstekl

Da sind einmal die Sachen, die uns aus Interesse gefallen.

Das nennen wir das Ökonomische. Zu ihm gehören Arbeit und Kalkül.

Und dann sind da Sachen, die uns ohne Interesse gefallen.

Das ist das Ästhetische. Dazu gehören Einbildungskraft und Spiel.

Pusteblume

Ein drittes gibt es nicht.

Was ist komisch?

orang-haarstraeubendes-erlebnis-posterPragmatische Definition: Komisch ist das, worüber gelacht wird.

Alles andere ist davon abgeleitet: Was ist Witz? Was ist Humor? Usw…. Bestimmungsgrund ist aber immer: dass gelacht werden kann. Das Lachen ist ein – quasi-physiologischer – „Elementarfakt“. Das Lächeln erscheint – wiederum physiologisch – als Miniaturformat des Lachens; es ist es! Nicht als „Verkleinerung“ – es ist (lebensgeschichtlich) ja „früher da“: Der Säugling lächelt, bevor er lacht; sondern als Knospe der Blume.

‚Komik entsteht, wenn zwei Automatismen auf einander prallen’, sagt irgendein Feuilletonist. – „Automatismen“: besser gesagt, Selbstverständlichkeiten. Wenn die auf einander stoßen und dabei einander aufheben, dann erhellt daraus schlagartig die Nicht-Selbstverständlichkeit, nämlich Bedingtheit allen „Wissens“. Da „zeigt sich“ – anschaulich, unter der Form des Absurden – der transzendentale Standpunkt als der wahre – den man sich doch im alltäglichen Leben nicht leisten kann! Nur als „Fest“ kann man ihn „beziehen“, und das ist komisch: „Leben“ kann man nur in relativer Unwahrheit; aber doch bleibt das Leben am Ende das „einzig Wahre“.

komisch

Schleim

Umgehen und nachvollziehen sind die landläufigen Verbalformen von Dingsbums; weil doch die unmittelbare Verzeitwörtlichung von Dingsbums so schlecht klänge.

Dingsbums selbst klingt gerade schlecht genug. Darum heißt man es meistens Problem.

Maden

Mauldeutsch

Fauldeutsch

Flachdeutsch

Plattdeutsch

Seichdeutsch

Weichdeutsch

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ab/aufarbeiten

[ew.] abbauen

abfragen

[auf ew.] abheben

abschotten

Adressat

allemal

[ew. mit ew.] anfangen können

Angebot

anmahmen, einfordern

Annäherung [sich e. Sache nähern]

[ew.] annehmen [warum kannst du das nicht annehmen?!]

Ansatz [im, mein, in … bringen]

aufmachen, sich öffnen, offen sein

[droht, kommt] das Aus

ausgrenzen

[ew.] ausleben

[sich] austauschen

außen vor

Bedürfnis

betroffen

Beziehung

Brüchigkeit

bündeln

daherkommen [kommt soundso daher]

dementsprechend (Ost)

doppelbödig[keit]

durchbuchstabieren,

durchdeklinieren

[sich] einbringen

einfachmal (irgendwie irgendwo)

einfordern [s. anmahnen]

[sich auf ew.] einlassen

[sich] einmischen

[ew.] erinnern [mit Akk.]

focussieren

funktionieren [ein Gedicht, Bild, Theaterstück, Musikstück…]

[als ew.] gehandelt werden

Gewalt [-bereitschaft]

gleichwohl

in den Griff bekommen

halt, eh, weil {ohne Inversion}

seine Hausaufgaben erledigen

hautnah

[wenig] hilfreich

[ew.] hinterfragen

Inhalte, unsere inhaltlichen Punkte

irgendwie, irgendwo

[was da ab-] läuft

lebensfeindlich

[nicht] loslassen [können]

[ist] Mangelware

massiv, massivst

ein Mix von

nachdenklich[-keit]

nachvollziehen

oder so

offen sein, sich öffnen, aufmachen

[kein] Patentrezept

pur [Natur p., Kultur p., Wellness p., …]

Schwachstelle

signalisieren

Sinn machen

Sollbruchstelle

spannend

[ganz] spontan [-eität]

Stellenwert, hoher, zentraler(!)

stimmig

[gegen den] Strich [bürsten, lesen]

ein Stück weit

transparent machen

[mit ew.]umgehen

wichtig [unheimlich]; s. zentral

um ew. wissen

unredlich

[im] Unruhestand

[zu ew.] verkommen

verletzt [-lich]

vermitteln

voll

[ew.] auf den Weg bringen

wegstecken können

wichtig [ganz, unheimlich]

zeitgleich

zentral [ganz]

[nicht] zerreden lassen

zielführend [meist neg.: nicht z.; i. S. von: nicht schnieke, nicht schnafte]

[ew.] zulassen

[sich] zurücknehmen

Zuwendung

zu tun haben [hat auch viel mit … zu tun]

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wird laufend vervollständigt; Vorschläge erbeten!

Milbe

„In der Sprache liegt die Reflexion, und darum kann die Sprache das Unmittelbare nicht aussagen. Die Sprache tötet das Unmittelbare… Das Unmittelbare ist nämlich das Unbestimmbare, und darum kann die Sprache es nicht auffassen; dass es aber das Unbestimmbare ist, ist nicht seine Vollkommenheit, sondern ein Mangel an ihm.“

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Sören Kierkegaard, Entweder-Oder, München 1975, S. 85

verkehren

Aber ich bin auch in ‘meiner’ Welt nicht allein. Ich stehe von Anbeginn bis Schluss in Verkehr. Im Verkehr kann der Eine an die Stelle des Andern treten. Im Verkehr wird der Wechsel der Perspektiven habituell. Aus dem Verkehr erwachsen Abstände und Nähen, der Verkehr manifestiert Unterschiede und schafft Reflexion. Verkehr ist Vermittlung. In der Welt, die Verkehr ist, ist nichts unmittelbar. Genauer gesagt: In ‘unserer’ Welt ist nichts unmittelbar, ist alles nur ‘vermittels…’: Alles ist verkehrt. Das Unmittelbare kommt allein in ‘meiner’ Welt vor. In ‘unserer’ Welt kann ich es nur symbolisch vermittelt “zur Sprache bringen” – was in ‘meiner’ Welt gar nicht nötig ist.

vermittelt

nach Hieronymus Bosch

Wer Meine Welt und Unsere Welt gegen einander oder – gänzlich unvermittelt – gar nur neben einander stellt, riskiert Schizophrenie.

Den Künstler charakterisiert es aber, dass er Seine und Unsere Welt in einer Spannung entgegensetzt. Er ist daher immer bedroht. Der Künstler gibt einen ‘Ausschnitt’ von Seiner Welt der Öffentlichkeit zur Anschauung, im Bild.Salvali Dolar, Der Sklavenmarkt

Er gibt es preis, eijeijei.

laterna-magica

Vernunft ist proiectum,* nicht proiectio. Nicht terminus a quo, sondern terminus ad quem. Sie ist die Behauptung, dass der Welt ein Sinn gebührt.

laternamagica

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*) lat. pro-iectum=gr. pro-blêma.

Winslow Homer, Boy fishing

Es sind die Absichten der Menschen, an denen die Dinge Merkmale bekunden.

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André Derain, Hafen mit Segelschiffen (?)

Was uns “erscheint”, ist nicht einfach, sondern ungeordnet chaotisch.

Wir nehmen nicht die einzelnen Sinnesreize wahr, sondern immer schon das, was unser Sensorium daraus gemacht hat. Ein vorsorglicher Filter, in dem die Erinnerung an Millionen Jahre Gattungserfahrungen operationalisiert ist, hat schon das (ihm) Bedeutende von dem Unbedeutenden geschieden. Was uns ‘erscheint’, sind immer schon mehr oder minder bestimmte Bilder; ‘Figuren’ vor einem ‘Hintergrund’, die – zusammengesehen – etwas ‘bedeuten wollen’.

Das Bewusstsein alias die Reflexion tritt hinzu und fragt: Was soll das bedeuten? Das ist eine Frage ans Gedächtnis, dort ist allerhand gespeichert, mit dem die eingehenden Bilder verglichen und geordnet werden können nach dem Muster passt oder passt nicht. Passt es nicht, muss Neues hinzu erfunden werden.

Das ist ein ganzer komplizierter Apparat, der da in Bewegung getreten ist und, bevor ich irgendwas davon bemerkt habe, ins ungeordnete Gewimmel der Sinneszreize eine Ordnung gebracht hat. Was er hervor gebracht hat, ist nicht Dieses oder Das, sondern ein Tableau von beweglichen Figuren vor einem nicht minder beweglichen Hintergrund.

Mein Denken im eigentlichen Sinne – das Anwenden von vorgehabten Begriffen auf noch nicht gehabtes Anschauungsmaterial, das Vergleichen von Unbekanntem mit Bekanntem – greift in ein schon vorbearbeitetes Vorstellungsfeld. Es sortiert nach Begriffen: Was fällt darunter und was fällt daneben? Für das, was daneben fällt, müssen gegebenenfalls neue Begriffe angefertigt werden – oder es wird, als Einzelnes, bildhaft und analog gespeichert; in der ständigen Gefahr, zwischen den Registern der digital abgespeicherten Begriffe unauffindbar verloren zu gehen. Das Ideal meines Gedächtnisses ist: das Vorgefundene so klar und eindeutig (clare et distincte) im Register zu bewahren, dass es ohne Zeitverlust ad hoc auffindbar ist.

Mein Gedächtnis will vereinfachen.

Das trifft sich gut. Meine Urteilskraft will auch vereinfachen. Dann muss sie nur noch ja oder nein sagen; nicht zwar, vielleicht, aber unter diesen Umständen, doch eventuell, und andererseits; sondern einfach nur: so oder so. Meine Urteilskraft will genau so ihre Ruhe haben wie mein Gedächtnis. Unermüdlich ist lediglich meine Einbildungskraft. Die hat’s gern üppig und sprudelt.

Das ist das Kreuz: Die Einbildungskraft will nicht das Altvertraute, sondern das Verwunderliche. Sie hat sogar die Kraft, mein Sensorium dahin zu verführen, auf das, was gattungsgeschichtlich längst als unerheblich ausgemustert war, dennoch aufzumerken und es wahr- und wertzunehmen.

Mit andern Worten, ich kann Absichten fassen und danach das ungeordnet Mannigfaltige neu ordnen. Denken heißt vereinfachen.

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Keplers Systeml

Je systematischer das Denken ist, umso weniger eignet es sich zu systematischer Darstellung.

Das ist nur scheinbar paradoxal. Denn System bedeutet in der Vorstellung etwas anderes als in der Mitteilung. Im Denken ist das System auf einmal und ganz gegeben. Es ist synchron, ein jeder Satz im System bedingt jeden anderen Satz. Es ist weniger gleich-zeitig als – jenseits von Zeit und Raum – gleich-gültig. Eigentlich nicht synchron, sondern achronisch. Mitteilung geschieht dagegen in der Zeit, diachron, eins nach dem andern.

Man müsste das gedachte System – das hat schon Fichte bemerkt – von jedem beliebigen einzelnen Satz aus re-konstruieren und von da aus zu jedem andern Satz im System gelangen können. Die Mitteilung muss dagegen ein Anfang wählen, einen Ober-Satz: principium. Daraus müssen die Folgesätze nach den Regeln der diskursiven Rede her-geleitet werden. Im dargestellten System gelten die Sätze nicht a-chronisch und gleich, sondern sind hierarchisch geordnet.

Im gedachten System erscheint ein jeder Satz der nachträglichen Reflexion wie eine Figur vor ihrem Hintergrund. Im dargestellten System erscheint jeder Satz als logischer Schluss aus dem Voran- gehenden und Grund für alles Folgende. Das dargestellte System müsste, um vollständig zu sein, dieselbe Operation von jedem denkbaren (Ober-)Satz zu jedem denkbaren (Folge-)Satz wiederholden und synoptisch zu einander stellen. Da die Anzahl der denkbaren Sätze aller Voraussicht nach unendlich ist, wird die Aufgabe… unendlich sein. Mit andern Worten, als ein Ganzes würde sich das System auf diesem Wege niemals darstellen laasen.

Nun könnte man auf die Idee kommen, die Ganze Gestalt des Systems so, wie es sich – ob vollendet oder nicht – von außen präsentiert, ihm als seinen In-Begriff zu Grunde zu legen; den Umfang in sein Zentrum zu verkehren. Dann müssten sich alle einzelnen Sätze aus diesem her- und zu diesem hinleiten lassen.

Allerdings läge dieses logische ‘Zentrum’ dann außerhalb des Systems! Jenes mag ‘in sich schlüssig’ sein. Aber ob und wozu es was taugt, bleibt ganz offen.

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Dass ein Denken Anspruch auf Systematik erhebt, gilt den Wissen- schaften heute ohnehin als unsittlich. Wozu also diese Erörterung?

Ich bin in der glücklich unglücklichen Lage, ein System vortragen zu können – also zu sollen, wie mir scheint. Ich habe einmal die Neigung, in alles, was in meiner Vorstellung vorkommt, Ordnung zu bringen; nicht um der Ordnung willen, sondern um die Übersicht nicht zu verlieren. Die Solidarität der andern Gedanken möge mich daran hindern, mich von dem einen Gedanken in den Abgrund ziehen zu lassen. Darauf, ein System hinein zu bringen, habe ich es nie angelegt. Aber es ist im Lauf der Jahre und Jahrzehnte so gekommen. Es traf sich, dass manche Denkfigur sich auf dem einen wie auf dem anderen Gedankenfeld aufnötigte und bewährte – und mich einen logischen Zusammenhang zwischen ihnen vermuten ließ.

So trage ich sie nun vor; als Fragmente eines unvollendeten Ganzen, von denen sich jedes selbst behaupten muss und doch auf die Solidarität der andern rechnen kann; als Wendeltreppe. Ob es nun  ein vollendetes System und Ganzes ist, davon hängt gar nichts ab. Es mag so sein oder anders. Wer meinen Vortrag auf dieser oder jener Windung kritisiert, weil ich da eine durch nichts belegte Prämisse verwende, muss sich lediglich gefallen lassen, dass ich ihn auf diese oder jene (synchrone) Windung verweise, wo eben jene Prämisse begründet wird.

Und wenn der Leser auf der vierten absteigenden Windung eine Denkfigur wieder zu erkennen meint, die ihm auf der achten aufsteigenden Windung schon einmal begegnet ist, bin ich’s zufrieden.

Stufen

January 3, 2009)

Ästhetisch betrachtet (unterm Gesichtspunkt des Schönen) sehen die Dinge so aus, als ob sie, über ihren logisch-operationellen Verweisungszusammen-hang mit den andern Dingen der Welt hinaus, eine eigene Bedeutung an und für sich selber in Anspruch nehmen wollten; also ohne Verweisung auf Anderes; ohne (durch anderes) bezeichnet werden zu können. Indes, de singularibus non est scientia. Ästhetisch steht ein jedes nur für sich, es kann darüber nichts gesagt werden – man kann es lediglich ‚betrachten’.

Anders gesagt, das Ding-an-sich ist (s)ein ästhetischer Schein; oder: Nur das, was „an“ dem Ding als ästhetisch erscheint, ist „an sich“. (Das Ding an sich ist das Ding, wie es ästhetisch erscheint; oder: An sich ist das Ding nur in ästhetischer Hinsicht; in jeder andern ist es immer für irgend ein anderes.- Die einzigen Qualitäten, die dem Ding ‚an sich’ zukommen, sind die ästhetischen; freilich auch nur, sofern sie wahrgenommen werden. – Für uns ist das Ansich nur als ein ästhetischer Schein…)

Man kann sagen, ästhetisch gesehen, ist das Ding über-bestimmt; singularisiert: bis zur Unbestimmtheit bestimmt, da aus dem Zusammenhang mit Anderm ausgeschieden. (Bestimmung = Lokalisierung im allgemeinen Verweisungsgeflecht des Sprachspiels) In der ästhetischen Betrachtung erscheint aber der ästhetische Schein als Schein; insofern ist Kunst (als spezifisch ästhetische Praxis) „immer kritisch“; aber im transzendentalphilosophischen Sinn, nicht im politischen. Will sagen, sie ist ironisch, aber nicht satirisch.

Aller positiven Metaphysik ist das Ästhetische daher ein Ärgernis; weshalb sie es zu naturalisieren oder zu logifizieren sucht – oder beides zugleich, wie bei Hegel.

Nota. Ästhetisch wahrgenommen werden nicht die Sinnenreize, sondern ihre Gestaltqualität; werden nicht perzipiert, sondern konzipiert. Das Ästhetische ist keine sachliche Eigenschaft, sondern eine Erlebensqualität.

Das war ein Witz. Wenn ich mir von der Erscheinung alles weg denke, das in irgendeinem Verhältnis zu meinen Absichten stehen könnte,  dann bleibt übrig… die Erscheinung selbst. Aber eben immer: Erscheinung.  Also immerhin all das, was – “absichtslos” – mein Sehen, Hören, Riechen, Fühlen, Schmecken affizieren könnte. Es bleibt immer zurück – die ästhetische “Seite”.

Wenn ich von der auch noch abstrahiere, abstrahiere ich von der Erscheinung selbst, und übrig bleibt kein “Ding an sich” – das eben dadurch (negativ) “bestimmt” wäre, dass es “keiner Erfahrung zugänglich” ist, sondern… kein Ding. Und tatsächlich beruht die Annahme, dass es (wer ist das?) ein Ding-an-sich geben (was ist das?) könnte, auf der Anschauung, dass das Ding “da” ist, bevor und ohne dass ich irgend eine Absicht auf es richtete; wenn ich es nämlich lediglich betrachte.*

“Witz ist eine ernste Sache”, sagt Fichte.

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*) gr. theoría=Betrachtung; seit Plotin* als Gegensatz zur prãxis aufgefasst.

*) Aristoteles denkt überhaupt nicht in Gegensätzen. Bei ihm werden beide lediglich unterschieden. Einander entgegen gesetzt werden sie erst bei Pl.

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René Magritte, La memoria

Eine große Rede läßt sich leicht auswendig lernen und noch leichter ein großes Gedicht. Wie schwer würde es nicht halten, eben so viel ohne allen Sinn verbundene Wörter, oder eine Rede in einer fremden Sprache zu memorieren. Also Sinn und Verstand kömmt dem Gedächtnis zu Hülfe. Sinn ist Ordnung und Ordnung ist doch am Ende Übereinstimmung mit unserer Natur. Wenn wir vernünftig sprechen, sprechen wir nur immer unser Wesen und unsere Natur. Um unserm Gedächtnisse etwas einzuverleiben suchen wir daher immer einen Sinn hineinzubringen oder eine andere Art von Ordnung. Daher Genera und Species bei Pflanzen und Tieren, Ähnlichkeiten bis auf den Reim hinaus. Eben dahin gehören auch unsere Hypothesen, wir müssen welche haben, weil wir sonst die Dinge nicht behalten können.

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Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher Heft J, N° 392

Kurt Schwitters, Kirschenbild

Die Frage “Ist das überhaupt noch Kunst?” hat zur stillen Voraussetzung, dass die Antwort jeweils über den Rang des Werks entscheidet. Ihr liegt also offenbar eine Hochachtung für ‘die Kunst’ zu Grunde; nämlich sofern sie “wahr” ist.

Ist dem von Natur aus so? Es hat seinerseits eine historische, empirische Voraussetzung; dass sich nämlich in den westlichen, bürgerlichen Kulturen seit der Renaissance die Kunst zu einer gesellschaftlichen Instanz entwickelt hat! Eine Instanz, die gegenüber dem Rest der Gesellschaft Autorität hat – sonst wäre sie ohne Sinn (und es gäbe sie nicht).

‘Die Kunst’ besteht damit als Gegenstück, als Gegensatz zu ‘der Wissenschaft’, die ihrerseits in den modernen Gesellschaften Autorität beansprucht. Beide Instanzen verstehen sich – und werden verstanden – als Spiegel und Gewissen der Welt. Jede, wohlbemerkt, für sich. Aber entstanden sind sie miteinander, im ‘Prozess der Zivilisation’. Und darum gelten sie auch immer nur mit-, wenn auch gegeneinander.

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Offenbarung?

Die Frage, ob es Wahrheit überhaupt gibt, ist Unfug. Die Antwort darauf wäre, wie immer sie ausfiele, wahr oder un-wahr. So kann man nur fragen, weil man sich von der Wahrheit längst eine Idee gemacht – und also die Antwort „in Wahrheit“ schon vorausgesetzt hat.

Da ‚es’ Wahrheit also ‚geben’ soll, ‚muß’ sie einen Grund haben. Und der muß sich in unserm Wissen auch auffinden lassen. Nicht so zwar, als ob er darin als eines seiner Stücke selber vorkäme; sondern als das, was übrigbleibt, wenn von allen tatsächlichen Wissensgehalten abgesehen wird: die allgemeine Form des Wissens überhaupt. Formen sind in Zeitlosigkeit geronnene Handlungen, in der Geometrie wie in der Logik. Der Grund des Wissens muß ein ursprünglicher Akt sein, actus purus. Er kann nichts anderes sein als jene ‚Tathandlung’, durch die das wirkliche Erleben sich ‚anschaut’ als eine Anteilnahme des Einen am Andern – wie an einer Aufgabe. Die Ur-Teilung von Ich und Welt „gibt es“ nur als Problem. Es stellt sich dem, der es sich stellt. Es einem andern andemonstrieren kann er nicht. Aber er kann davon erzählen, als ob es ihm widerfahren wäre, wie einen Mythos: So muß es gewesen sein! Wissen, das darauf „gründet“, bleibt problematisch. Daß es einen Sinn gibt in der Welt, ist eine Behauptung, die sich immer erst noch erweisen muß.

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Ästhetik und Urteilskraft

gediegenes Gold in Quarz, gefunden in der Eagles Nest Mine, Cal.

Das ästhetische Vermögen ist die Fähigkeit, Qualitäten wahr-, d. h. wert-zu-nehmen.

Die Urteilskraft ist das Vermögen, Erscheinungen auf Qualitäten zu beziehen.

gefunden in einem Spanischen Schiffswrack vor der namibischen Küste

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Das höchste Prinzip…

vulkanischer Riss

Sollte das höchste Prinzip das höchste Paradoxon in seiner Aufgabe enthalten? Ein Satz sein, der schlechterdings keinen Frieden ließe – der immer anzöge, und abstieße – immer von neuem unverständlich würde, so oft man ihn auch schon verstanden hätte? Der unsere Tätigkeit unaufhörlich rege machte – ohne sie je zu ermüden, ohne je gewohnt zu werden? Nach alten mystischen  Sagen ist Gott für die Geister etwas Ähnliches.

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Novalis, Logologische Fragmente [a], N°9

quale

Musik sei nicht zu unbestimmt, um in Worte gefasst zu werden, hat Mendelssohn* gesagt, sondern zu bestimmt.

Heute würden wir sagen: Das Musikstück – und jedes Kunststück – ist überbestimmt. So sehr bestimmt, dass es durch allgemein-geltende Zeichen eben nicht vollständig erfasst werden kann. Das Kunststück ist singulär. De singularibus non est scientia – Von einem Einzigen gibt es kein Wissen, sagten die Scholastiker. Das, was ganz allein auf der Welt so ist, wie es ist, das kann durch kein Anderes – Bekanntes – auf der Welt beschrieben werden. Es ist lediglich quale; schon quid wäre zu viel gesagt, weil das an ein Verhältnis zu Anderem glauben lässt.

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*) geboren am 3. Februar 1809 in Hamburg

Widerstreit

Hat man nun einmal die Liebhaberei fürs Absolute und kann nicht davon lassen: so bleibt einem kein Ausweg, als sich selbst immer zu widersprechen, und entgegengesetzte Extreme zu verbinden. Um den Satz des Widerspruchs ist es doch unvermeidlich geschehen, und man hat nur die Wahl, ob man sich dabei leidend verhalten will, oder ob man die Notwendigkeit durch Anerkennung zur freien Handlung adeln will.

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Friedrich Schlegel, Blütenstaub N° 26

Das produktive Schweben

“Frei sein ist die Tendenz des Ich – das Vermögen, frei zu sein, ist die produktive Imagination – Harmonie ist die Bedingung ihrer Tätigkeit – des Schwebens zwischen Entgegengesetzten. Sei einig mit dir selbst ist also Bedingungsgrundsatz des obersten Zwecks: zu sein, aber frei zu sein. Alles Sein, Sein überhaupt ist nichts als Freisein – Schweben zwischen den Extremen, die notwendig zu vereinen und notwendig zu trennen sind. Aus diesem Lichtpunkt des Schwebens strömt alle Realität aus – in ihm ist alles enthalten – Objekt und Subjekt sind durch ihn, nicht er durch sie.

Ichheit oder produktive Imaginationskraft, das Schweben bestimmt, produziert die Extreme, das wozwischen geschwebt wird. Dieses ist eine Täuschung, aber nur im Gebiete des gemeinen Verstandes. Sonst ist es etwas durchaus Reales; denn das Schweben, seine Ursache, ist der Quell, die Mater aller Realität, die Realität selbst.”

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Novalis, Fichte-Studien, in: Gesammelte Werke, Herrliberg-Zürich 1945, Bd. 2; S. 170

Das absolute Postulat

“Was tu ich, indem ich philosophiere? Ich denke über einen Grund nach, dem Philosophieren liegt also ein Streben nach dem Denken eines Grundes zu Grunde. Grund ist aber nicht Ursache im eigentlichen Sinne, sondern innere Beschaffenheit – Zusammenhang mit dem Ganzen. Alles Philosophieren muss also bei einem absoluten Grunde endigen. Wenn dieser nun nicht gegeben wäre, wenn dieser Begriff eine Unmöglichkeit enthielte, so wäre der Trieb zu philosophieren eine unendliche Tätigkeit und darum ohne Ende, weil ein ewiges Bedürfnis nach einem absoluten Grunde vorhanden wäre, was doch nur relativ gestillt werden könnte – und darum nie aufhören würde. Durch das freiwillige Entsagen des Absoluten entsteht die unendliche freie Tätigkeit in uns – das einzig mögliche Absolute, was uns gegeben werden kann und das wir durch unsre Unvermögenheit, ein Absolutes zu erreichen und zu erkennen, finden. Dies uns gegebene Absolute lässt sich nur negativ erkennen, indem wir handeln und finden, dass durch kein Handeln das erreicht wird, was wir suchen.

absolutes Postulat

Das ließe sich ein absolutes Postulat nennen.”

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Novalis, Fichte-Studien, in: Gesammelte Werke, Herrlibrg-Zürich 1945, Bd. 2, S. 172

Sapere aude

gewuerze

Sapere aude – wage Wissen.

Hübsch übersetzt, was? Aber nicht so ganz korrekt. Denn sapere heißt wohl mehr oder doch anderes als bloß wissen – im Sinne von sachlicher Kenntnis. In sapientia klingt es durch: Das bedeutet vielmehr Weisheit als Informiertheit.

Etymologie ist nicht Logik. Aber in der Geschichte der Wortbedeutungen scheint die Herkunft unserer Urteilsgründe, der Qualitäten, auf. Denn zu sapere findet sich nicht nur das Nomen sapientia, sondern auch das Nomen sapor, Geschmack. Und während sapientia für jedes Ohr hörbar aus sapere abgeleitet ist, hört jedes Ohr auch gleich, dass sapere die Verbalform von – sapor ist.

Im Französischen gibt es die befremdende Nähe von le savoir und la saveur, von savoir und savourer.

Im Althochdeutschen gab es das Verb int-sebben, das ohrenscheinlich aus derselben gemeinsamen indogermanischen Wurzel stand, und das bedeutete ‘mit den Sinnen, bes. dem Geschmacke, wahrnehmen’.

Sapere aude bedeutet daher ursprünglich nicht: ‘Wage zu wissen, was dir dadurch verbürgt ist, dass jeder Andere es auch wissen kann’; sondern bedeutet:

Wage dein eignes Geschmacksurteil!

Da muss sich der Homo sapiens aber noch ein bissel ranhalten, wenn er sich seinen Namen verdienen will.

Doré, Gargantua

Schrecklicher Vereinfacher

vereinfachen

Denken heißt vereinfachen.

Wir nehmen keine ‘Dinge’ wahr. Auf unser Sensorium prasselt ohne Pause ein Sturzflut aller erdenklichen Reize ein. Nicht alle werden wohl an die Zentrale weiter geleitet: Redundanz betäubt. Und nicht alle kommen in der Zentrale an – weil die nämlich vorab schon filtert, was des Bemerkens wert ist und was nicht.

Noch bevor übrigens gedacht wurde. auslesenDie Stammes- geschichte hat unser Gehirn mit Regionen ausgestattet, die nur bei Homo sapiens vor- kommmen – weil die dort verarbeiteten Informationen für die Lebenswirklichkeit von Homo sapiens von Belang sind, aber für andere Lebensformen nicht. Und jeder von uns bringt eine ganze Masse von Verschaltungen zwischen den Regionen fix und fertig mit auf die Welt, teils als die materialisierte Kollektiverinnerung unserer Gattung, teils – und keiner weiß, in welchem Maße – als individuelle Erbschaft.

Sie alle sind mit Vereinfachung beschäftigt.

Aber nun erst das Denken selbst! Es handelt sich – nach der unwillkürlichen, genetisch vorgegeben Auslese – um die willkürliche Anordnung der wahrgenommenen Gegebenheiten auf eine vorgängige Absicht hin. Nichts wird “nur so” wahrge- nommen. Auch die zweckfreie ästhetische Betrachtung geschieht “um etwas willen” – um ihrer selbst willen, anders fände sie nicht statt. Für wahr wird nur das genommen, was in einem irgend erkennbaren Verhältnis zur Absicht steht; und im Erkennen unerwarteter und verborgener Verhältnisse zeichnet sich Intelligenz aus (Humor+Gedächtnis).

Das gilt für das alltägliche Denken des gesunden Menschenverstands nicht minder als für die Wissenschaft. Und namentlich die Philosophie. Mann kann, ohne einen allzu großen Schnitzer zu riskieren, sagen: Philosophieren heißt vereinfachen. Die subtilen Distinktionen der Schulphilosophie sind nicht der Zweck des Philosophierens, sondern sein Mittel. Die historisch-philologische Arbeit bereitet der Philosophie ‘nach dem Weltbegriff’, wie Kant es nennt, das Material zu. Der Sinn ist immer: Ordnung in das mannigfaltige bringen; festlegen, was das Wichtige sein soll und was hintan gestellt werden darf. Und zwar so, dass im Idealfall eine einfache Frage übrigbleibt, die mit ja oder nein zu beantworten wäre. Es ist, in einem Akt, das Abstrahieren vom Zufälligen und das Reflektieren auf das Notwendige.

Kasimir Malévitch, Carré noir

Eine Anwort auf eine philosophische Frage von Erheblichkeit kann erst dann richtig sein, wenn sie einfach ist. (Sie kann allerdings auch dann noch falsch sein.)

Zweckmäßig “ohne Zweck”

Gabriele Münter, Herbstlandschaft

Allerdings ist die Formulierung zweckmäßig ohne Zweck genial, wenn auch nicht entfernt so paradoxal gemeint, wie sie klingt. Aber – sie bezeichnet eben nur das Schöne. Als allgemeine Umschreibung des Ästhetisch-Ausgezeichneten reicht sie vielleicht doch nicht. Denn zweckmäßig ist eben immer auch – mäßig; will sagen, einem Maß zugeordnet, von dem ja immer noch zu erwarten ist, daß es prinzipiell erfüllt werden könnte (vulgo Ideal). – In der modernen Kunst wird dagegen anscheinend auf das „Maß“ gerade insofern Bezug genommen, als es absichtsvoll, d. h. polemisch verfehlt wird…

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Das Symbol ist ein Sinn-Bild

Symbol über dem Grab in Talpiot

Das Symbol ist ein Bild, aber kein Abbild. Das Abbild zeigt „das, was“ es abbildet. Das Symbol „zeigt“ etwas Anderes als „es selbst“: das, was es bedeutet; nämlich das, Symbolikworauf es (wem?!), unabhängig von seinen zufälligen Formvarianten, „eigentlich ankommt“ (z. B.: wozu man es verwenden kann). Ließe die „Bedeutung“ sich abbilden, bräuchte man sie nicht zu symbolisieren. Durch das Symbol wird die übersinnliche Bedeutung dem Ding angeheftet. Durch dessen regelmäßigen Gebrauch im Sprachspiel wird die Zusammengehörigkeit von Ding-Symbol-Bedeutung gewohnheitsmäßig verfestigt; wird der prozessierende Verweisungszusammenhang mit den andern symbolisch-bedeutsamen Dingen bewährt. Schließlich gewinnen, qua Symbolisierung, die Bedeutungen der Dinge „Wirklichkeit“ vor den Dingen selbst – und die Welt als Inbegriff der Bedeutungen gewinnt Realität vor der dinglichen Welt; was Kant dann den „dialektischen Schein“ nennt…

Wayang Kulit

Frans Hals, Der Mann mit dem Schlapphut, Ausschnitt

Es ist gewiß besser, eine Sache gar nicht studiert zu haben, als oberflächlich. Denn der bloße gesunde Menschenverstand, wenn er eine Sache beurteilen will, schießt nicht so sehr fehl als die halbe Gelehrsamkeit.

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Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher Heft K, N°98

Sprachspielnetz

umfassend

Das Wort (Klangbild) ist ein Symbol. Die Sprache ist ein System von Symbolen; System im Vollzug, indem sie gebraucht wird in der Sprachgemeinschaft; „Sprachspiel“; diachronisch. Es läßt sich aber als System darstellen, synchronisch: als kodifizierter Verweisungszusammenhang. Doch jeweils nur als endlicher Verweisungszusam-menhang: Lexikon, Grammatik, „Logik“. Das Wort „bezeichnet“, benennt ein Ding als „das, was“ es ist; aber das Ding kann selber Symbol sein: etwas „bedeuten“, das sich seinerseits nicht „endlich darstellen“ läßt; Gedankending, „Begriff“. – Das gilt für das System der Sprache selbst: Es „sieht so aus, als ob“ es Alles umfaßt.

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, Tractatus [5.6] [aber was heißt hier „bedeuten“? Bezeichnen? „Darstellen“? „Sein“?] Die Besonderheit dieses Systems ist, daß es – historisch und logisch! – unbegrenzt erweiterbar ist. Es ist Bild der Welt. In der Welt sind nicht nur die Dinge, die die Wörter benennen, sondern auch ihre… (und andere) Bedeutungen! Die Sprache ist ein (historisch je) endliches Symbol für ein „unendliches“ Ding. Nicht nur können immer neue Wörter eingefügt werden; es können auch neue Sätze gebildet werden, in denen die Wörter neu verwendet, „umgewidmet“, d. h. umgedeutet werden. Denn sie sind Symbole, Bilder, keine Abbilder.

dynamisches Netz

Und sie können auch sinnwidrig verwendet werden: „uneigentliches“ Sprechen z. B. Man kann die Wörter regelwidrig verwenden: das „Spiel“ stören. Sprach-Spielverderber.

…dass ihm in seiner offenen Welt auch solche Dinge…

Jean Baptiste Carpeaux, Le retit pêcheur

…gewärtig werden, die keine Bedeutung für ihn haben – und ihm daher zum Rätsel werden.

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wasserspiegelung_kl

Die Besonderheit des Menschen ist es nicht, dass für ihn die Dinge neben ihrem Dasein in Raum und Zeit auch noch eine Bedeutung haben – das haben sie für die Tiere auch. Sondern dass er beides unterscheiden kann – und so die Bedeutung jenseits von Raum und Zeit und übersinnlich erscheint.

Das Ästhetische steht im Gegensatz zum Diskursiven.

wurfanker

Das Ästhetische steht eo ipso in Gegensatz zum diskursiven Denken – insofern jenes Ökonomie der Vorstellung ist; nämlich als Produktion von bezweckten Ergebnissen (‚Schlüssen’) aus vorliegendem Stoff (‚Gründen’), und zwar sparsam: die Gründe müssen zureichen, aber man bemüht davon nicht mehr als nötig; beides zusammen: das Argument muß zwingend sein. Denn das bedeutet: jederzeit reproduzierbar.

Sieht man ab zuerst auf die Zwecke der Vorstellung, ergibt sich das Bild der Teleologie. Sieht man dagegen ab auf die hinreichenden Gründe, ergibt sich das Bild der Kausalität – beide sind Vorder- und Rückseite desselben Vorstellungskomplexes, der sich, d. h. den wir Rationalität nennen. In jedem Fall geht es um das Hervorbringen, Ableiten oder Konstruieren der Vorstellungsgehalte; nicht, wie im ästhetischen Erleben, um wahr&wertnehmen uno actu. Darum kann man es, anders als jenes, wollen – und muß es wollen, weil es „nicht von alleine kommt“.

domino-effekt1

In der Welt spiegelt sich die Vernunft.

Schattenwurf

Anstatt daß sich die Welt in uns spiegelt, sollten wir vielmehr sagen, unsere Vernunft spiegele sich in der Welt. Wir können nicht anders, wir müssen Ordnung und weise Regierung in der Welt erkennen, dieses folgt aber aus der Einrichtung unsrer Denkkraft. Es ist aber noch keine Folge, daß etwas, was wir notwendig denken müssen, auch würklich so ist, denn wir haben ja von der wahren Beschaffenheit der Außenwelt gar keinen Begriff, also daraus allein läßt sich kein Gott erweisen.

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Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft J, N°1021

Unsere Welt und meine

Planetary nebula M2-9

Die Formel e=mc2 gehört zu Unserer Welt par excellence. Daher ist sie ‘an sich’ jedermanns Intelligenz zugänglich. Tatsächlich ist sie nur wissenschaftlich ausgebildeten Intelligenzen zugänglich, und wird es immer bleiben.

Den Satz ‘ich liebe dich’ versteht jeder, der weiß, was er bedeutet, aber einem Andern, der es nicht weiß, kann er es nicht mitteilen. Denn er ist aus Meiner Welt und wird ewig dort bleiben.

Verkehr und Bedeutung

Edouard Manet, Der Hafen von Bordeaux

Die – selbst gemachte – Geschichte der Gattung Mensch geschieht im Verkehr. Verkehr heißt Mitteilung. Mitteilung bedarf eines Vehikels, eines “Gefäßes”, in dem die je gemeinte Bedeutung vom Einen zum Andern gereicht wird. Je Mediumöfter das Mitteilen nötig wird, umso fester muss das Gefäß sein. Eine Bedeutung, die in einer Gebärde symbolisiert wird, ist weniger haltbar als eine, die in einem gesprochenen Wort symbolisiert ist. Und nur in unablässigem Verkehr kann die Bedeutung des Symbols andererseits auch erhalten bleiben.

Gefäß

wer gibt?

Ich meine nicht, dass “es” Wahrheit “gibt”. Wer oder was könnte mit “es” gemeint sein? Und was sollte “geben” hier bedeuten? Dennoch haben alle Sätze, die ich sagen kann, nur dann einen Sinn, wenn ich unterstelle, daß sie wahr sind.

Das ist offenbar ein Paradox. Das läßt sich nur… nein, nicht ausräumen, sondern lediglich: vor mir her schieben, indem ich sage, dass es Wahrheit geben soll. Natürlich kann ich aber “den Dingen” nicht vorschreiben, wie oder was sie ’sollen’! Der Satz ‘Wahrheit soll sein, weil anders meine Sätze keinen Sinn haben’ lässt sich anders formulieren: ‘Du sollst reden, als ob es Wahrheit gäbe’. Das ist keine theoretische Tatsachenbehauptung, sondern eine praktische (pragmatische) Fiktion. Ob ich diese Fiktion logisch, ethisch oder ästhetisch nenne, ist an diesem fortgeschrittenen Punkt schon gleichgültig. Es gibt allerdings Gründe, sie als eine ästhetische Fiktion aufzufassen.

fadgedachtes Ziel

Zeichen, Name, Begriffsbestimmung

Fischernetz-Markierungen

Man schreibt sehr viel jetzt über Nomenklatur und richtige Benennungen, es ist auch ganz recht, es muß alles bearbeitet und auf das Beste gebracht werden. Nur glaube ich, daß man sich zu viel davon verspricht, und zu ängstlich ist den Dingen Namen zu geben die ihre Beschaffenheit ausdrücken.

Der unermeßliche Vorteil den die Sprache dem Denken bringt besteht dünkt mich mehr darin, daß sie überhaupt Zeichen für die Sache, als daß sie Definitionen sind. Ja ich glaube daß grade dadurch der Nutzen den die Sprachen haben wieder zum Teil aufgehoben wird. Was die Dinge sind, dieses auszumachen ist das Werk der Philosophie. Das Wort soll keine Definition sein, sondern ein bloßes Zeichen für die Definition, die immer das veränderliche Resultat des gesamten Fleißes der Forscher ist, und es in so unzählichen Gegenständen Nagelbild, Günther Uecker, Detailunsres Denkens ewig bleiben wird, daß der Denker daher gewöhnt wird sich um das Zeichen, als Definition gar nicht mehr zu bekümmern, und diese Unbedeutlichkeit auch endlich unvermerkt auf solche Zeichen überträgt die richtige Definitionen sind.

Und das ist auch dünkt mich sehr recht. Denn da einmal nun die Zeichen der Begriffe keine Definitionen sein können, so ist fast besser gar keines derselben eine Definition sein zu lassen, als auf das Ansehen einiger Zeichen hin, die richtige Definitionen sind, so vielen andern die es nicht sind einen falschen Kredit zu verschaffen. Das würde eine Herrschaft der Sprache über die Meinungen bewirken die alle den Vorteil wieder raubte den uns die Zeichen verstatten. Es ist aber nicht zu befürchten, die sich selbst überlassene Vernunft wird immer die Worte für das nehmen was sie sind.

Es ist unglaublich wenig was ein solches definierendes Wort leistet. Das Wort kann doch nicht alles enthalten und also muß ich doch die Sache noch besonders kennen lernen. Das beste Wort ist das das jedermann gleich versteht. Also sei man ja behutsam mit der Wegwerfung allgemein verstandener Wörter, und man werfe sie nicht deswegen weg weil sie einen falschen Begriff von der Sache gäben! Denn einmal ist es nicht wahr, daß es mir einen falschen Begriff gibt, weil ich ja weiß und voraussetze, daß das Wort diene die Sache zu unterscheiden, und für das andere, so will ich aus dem Wort das Wesen der Sache nicht kennen lernen. Wer hat beim Metall-Kalch je an Kalch gedacht? Was kann es schaden die Kometen Kometen das ist Haar-Sterne zu nennen, und was würde es nutzen sie Brand- oder Dampf-Sterne zu nennen? (Sternschnuppe.)

Sternschnuppe

Es läßt sich selten viel in die Namen eintragen, so daß man doch erst die Sache kennen muß. Parabel, Hyperbel, Ellipse sind Namen dergleichen sich die Chymie weniger rühmen kann, denn [sie] drücken Eigenschaften dieser Linien aus, aus denen sich alle die übrigen herleiten lassen, welches freilich mehr reiner Natur der Wissenschaft wohin diese Betrachtungen gehören als einem besonderen Witz der Erfinder dieser Namen zuzuschreiben ist. Aber was hilft eben diese Weisheit, man braucht sie wie den Namen Zirkel und Kreis oder Muschel-Linie, die keine Definition sind. Der Dispüt hat würklich etwas Ähnliches mit den puristischen Bemühungen der Sprachmelioristen, und Orthographen. Man hofft zu viel von guten und fürchtet zuviel von schlechten Wörtern. Die Richtigkeit des Ausdrucks ist es nicht allein sondern die Bekanntheit und der Wert eines Worts steht also gewissermaßen in der zusammengesetzten Verhältnis aus der jedesmalen Richtigkeit und der Bekanntheit. Freilich Regeln für die Wörterfertigung festzusetzen ist immer sehr gut, denn es kann ein Fall kommen, kunis_arab_kalligraphie1wo man sie gebraucht. Es ist würklich gut den Dingen griechische zu geben. Hätte man für die ganze Chemie hebräische Namen oder arabische wie Alkali pp, so würde man am besten dabei fahren je weniger man von dem Namen versteht.

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Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher Heft K, N°19

Reisende

Reisende

Man kann nur Philosoph werden, nicht es sein. Sobald man es zu sein glaubt, hört man auf es zu werden.

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Friedrich Schlegel, Athenaeums-Fragmente N°54

der hermeutische Zirkel

Einbildung

Sein ganzes wissenschaftliches Instrumentarium – das Denkzeug ebenso wie seine Laboreinrichtung – ist auf ‚ursächlich wirkende’ Res extensa angelegt. Was anderes bleibt gar nicht darin hängen.

Wer ein Sieb zum Schöpfen nimmt, wird finden, dassVersuchsanordnung Wasser eine bloße Einbildung unserer Vorfahren war.

experimentelle Wissenschaft

Soehnée

Alle künstliche Versuche sind gewissermaßen Monstra.

Experiment

Georg Christoph Lichtenberg,* Sudelbücher, Heft J, N° 2009

*) Professor der Physik

Das Verhältnis der Gedanken zur Wirklichkeit

Erdenrund

Auf der einen Seite haben wir Erdenrund mit Bergen, Tälern, hohen Ebenen und tiefer See.Kompass und Landkarte

Auf der andern Seite haben wir Landkarten und den Kompass.

Beide gibt es wirklich. Aber beides bedeutet Nichts ohne einen, der sich der einen Seite bedient, um sich auf der andern  Seite zurecht zu finden.

Kartenstudium

Um der Wahrheit willen

Mund der Wahrheit, Rom

Die Würde der Philosophie macht es gerade aus, dass sie sich erlaubt, vom unmittelbaren Nutzen abzusehen. Sie fragt nach Wahrheit nicht um des Vorteils, sondern um der Wahrheit willen.

“Um der Wahrheit willen”? Was soll das heißen? Wenn es überhaupt einen Sinn haben soll, dann heißt es: Es ist schöner, um der Wahrheit willen zu leben, als um des Vorteils willen.

Mit andern Worten, die Frage nach der Wahrheit ist sehr wohl eine Frage nach dem Sinn des Lebens. Aber eben eine Frage; das heißt, dass ich meinen eigenen Vorteil nicht von vornherein als einzig mögliche Antwort gesetzt habe.

Erstes Ergebnis: Wahrheit “kommt vor” als Frage.

Schacht

https://ebmeierjochen.wordpress.com/category/about-jochen-ebmeier/

Hat meine Gewissheit einen Grund?

Anschauung

Das Gefühl ist entweder sinnlich und das des Bittern, Roten, Harten, Kalten usw., oder intellektuell. Herr E. und mit ihm alle Philosophen seiner Schule scheint die letztere Art gänzlich zu ignorieren, nicht zu beachten, daß auch eine solche Gattung angenommen werden müsse, um das Bewußtsein begreiflich zu machen.

Ich habe es hier mit dem ersten nicht zu tun, sondern mit dem letztern. Es ist das unmittelbare Gefühl der Gewißheit spiegelbildund Notwendigkeit eines Denkens. – Wahrheit ist Gewißheit: und woher glauben die Philosophen der entgegengesetzten Schule zu wissen, was gewiß ist? Etwa durch die theoretische Einsicht, daß ihr Denken mit den logischen Gesetzen übereinstimmt? Aber woher wissen sie denn, daß sie sich in diesem Urteile über die Übereinstimmung nicht wieder irren? Etwa wieder durch theoretische Einsicht? Aber wie denn hier? – Kurz, da werden sie ins Unendliche getrieben, und ein Wissen ist schlechthin unmöglich. – Überdies, ist denn Gewißheit ein Objektives, oder ist es ein subjektiver Zustand? Und wie kann ich einen solchen wahrnehmen, außer durch das Gefühl?

/147/ Es ist klar, daß dieses Gefühl nur mein Denken begleitet und nicht eintritt ohne dieses. – Daß das Gefühl eine Wahrheit geben solle, ist unmöglich und würde keinen Sinn haben. Es, dieses Gefühl der Gewißheit und Wahrheit, begleitet nur ein gewisses Denken.

Es ist klar, daß, wenn ein solches Denken die Bedingung der Vernünftigkeit selbst ist und das Gefühl der Gewißheit unabtrennlich einfaßt, alle Menschen über dieses Gefühl übereinkommen müssen und es jedem anzumuten ist, wenn es ihm auch nicht anzudemonstrieren wäre, welches in Absicht des Unmittelbaren überhaupt nirgends stattfindet.

Es ist dieses Gefühl ein intellektuelles Gefühl.

Es ist dies der Grund aller Gewißheit, aller Realität, aller Objektivität.

Max Ernst, Aus dem Tagebuch eines 1000jährigen Astronatuen; 1970

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aus: J. G. Fichte, “Rückerinnerungen, Antworten, Fragen” in Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 146f.

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Über kritische und dogmatische Philosophie

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Der wahre Sitz des Widerstreits meiner Philosophie und der entgegengesetzten, welche letztern sich dieses Punktes mehr oder weniger deutlich bewußt sind [sic], ist über das Verhältnis der (bloßen, auf ein Objekt gehenden) Erkenntnis zum wirklichen Leben; (zum Begehrungsvermögen, Gefühle, Handeln). Die entgegengesetzten Systeme machen die Erkenntnis zum Prinzip des Lebens: sie glauben, durch freies, willkürliches Denken gewisse Kenntnisse und Begriffe erzeugen zu können, und meinen, daß diese das Begehrungsvermögen affizieren, Gefühle hervorbringen und das Handeln der Menschen bestimmen können. Ihnen ist also die Erkenntnis das Obere, und das Leben das dadurch bestimmte Niedere und von dem ersten Abhängende.

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zusehenUnsere Philosophie macht umgekehrt das Leben, das System der Gefühle, des Begehrens zum Höchsten und läßt der Erkenntnis überall nur das Zusehen. Es ist nach ihr ein solches System der Gefühle bestimmt: es ist freilich mit ihnen ein Bewußtsein verknüpft; und dies gibt eine unmittelbare, nicht eine durch /138/ Folgerungen erschlossene, durch freies, auch zu unterlassendes Räsonnement erst erzeugte Erkenntnis. Nur diese unmittelbare Erkenntnis hat Realität, ist, als aus dem Leben kommend, etwas das Leben bewegendes: und wenn philosophisch die Realität einer Erkenntnis erwiesen werden soll, muß ein Gefühl – ich will mich hier noch dieses Worts bedienen und werde über den Gebrauch desselben sogleich noch bestimmtere Rechenschaft geben – aufgezeigt werden, an welches diese Erkenntnis sich unmittelbar anschlösse.*

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wilhelm-roentgens-x-ray-photograph-of-his-wifes-hand1Das freie Räsonnement kann jene Erkenntnis nur durchleuchten, läutern, verknüpfen und trennen, das Mannigfaltige derselben, und dadurch den Gebrauch desselben sich erleichtern und sich fertiger darin machen: aber sie [sic] kann es nicht vermehren. Unsere Erkenntnis ist uns mit einem Male, für alle Ewigkeit gegeben, und wir können dieselbe nur weiter entwickeln, den Stoff nur aus eben diesem Stoff vermehren.

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Nur das Unmittelbare ist wahr: und das Vermittelte ist wahr, inwiefern es sich auf jenes gründet, außerdem Schimäre und Hirngespinst.

*) Das Leben ist die Basis: und wenig bedeuten die Worte.

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Aus: J. G. Fichte, “Rückerinnerungen, Antworten, Fragen”, in Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 137f.

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Wozu die Welt da ist.

sich in ihr bilden

Die Welt ist nicht da um von uns erkannt zu werden, sondern uns in ihr zu bilden. Das ist eine Kantische Idee.Körperwelten

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Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher Heft J, N°898

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No hay caminos.

Hay que caminar.

Hay que caminar.

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Wege gibt es nicht. Du musst gehen.

Mit der Vernunft ist es wie mit dem Wesen des Menschen. Sie ist nur, indem sie wird. Anders „ist“ sie nicht.

Terminus ad quem? „Unendliche Annäherung“?

Der Steuermann, der sich auf hoher See am Polarstern orientiert, will nicht ihm sich annähern, sondern dem andern Ufer; endlich.

segelschiff-maler_schmidt-ausschnitt

Der Mensch ist ein Problemfall.

Gleise

Leben ist für die Naturwissenschaft Stoffwechsel und Fortpflanzung, einschließlich der neuronalen Prozesse, die sich kausal dazwischen schieben. Nur der Mensch kann sich damit nicht begnügen, weil er in keiner natürlichen Umwelt zu Hause ist, die ihm seine Bestimmung vorgegeben hätte, sondern in einer selbstbedeuteten Welt: schlecht und recht. Seine Existenz ist eo Rohr im Windipso prekär. Er kann nicht bloß “da sein”, sondern muss sein Leben führen. Das ist offenbar ein Problem. Und nur, weil er es hat, sagt er “ich”.

Der Mensch ist ein Luxus der Natur.

fragend

Der springende Punkt: Der Mensch kann nach Bedeutung fragen, weil er muss. Muss der Gorilla nicht. Er kann es “lernen”, wenn es ihm im Labor beigebracht wird – vom Menschen. Die Laborsituation ist für den Gorilla eine ‘luxurierende’. Die bemerkenswerten Fähigkeiten, die Menschenaffen im Labor antrainiert werden können, weisen darauf hin, dass ihre Gehirne viel mehr ‘vermögen’, als ihre natürliche Umwelt ihnen abverlangt. Da sind offenbar Reserven, die aktualisiert werden können.

Das widerspricht vor allem dem philiströsen Dogma von der Natur als einer Ökonomin: “Die Natur verschwendet nix”, und wie die Platitüden alle lauten. Adolf Portmann hat den Begriff der Hypertelie (”übers Ziel hinaus”) in die Biologie eingeführt. Durch ihn wird vieles verständlich, was in mechanistisch-ökonomischer Sicht völlig im Dunkel bleibt.gorilla-thinking

Zum Beispiel die Hominisation selbst.

Charles Raoul Verlet, La douleur d'Orphée

Wovon ich nicht sprechen kann, darüber muß ich nicht schweigen: Ich kann es zeigen. Denn Symbole, nämlich Bedeutungsträger für andere, können auch Bilder werden. Sie irrlichtern dann am Rande unserer Welt und illustrieren die Stelle, wo sie an meine Welt nicht mehr heranreicht: Liebe, Leidenschaft, Freiheit, Sinn, Schönheit, Grauen, Glück, Ehre und Anstand; übrigens auch Komik und Wissen. Kein verständiger Kopf würde sie bestimmen wollen. Aber gezeigt werden sie oft und gern – in den Bildern der Kunst. Nicht zuletzt darum ist die Welt, im Unterschied zu den geschlossenen Umwelten, offen: weil in meiner Welt Anderes vorkommen mag als in der der Andern – und ich es ihnen zeigen kann.

Rose

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Ein Sinn, der “sich von selbst versteht”, ist keiner. Jedenfalls nicht ‘für mich’, sondern nur für den mich beobachtenden Wissenschaftler (der persönlich gar nix davon hat). Sinn wird erst, sobald an ihm gezweifelt wurde. Und er bleibt nur, solange nach ihm gefragt wird. Er ist das Ureigenste von ‘meiner’ Welt, über das ich in ‘unserer’ Welt bestenfalls Geschichten erzählen kann; Romane schreiben, Lieder singen, Bilder malen.

Hieronymus Bosch, aus Die Versuchung des hl. Antonius

60 Jahre Erklärung der Menschenrechte

Würde ist keine Naturgröße, sondern eine ästhetische Kategorie.

…ist das Maß aller Dinge?

Es ist eine Frage der Selbstachtung. Ein Leben, das sein Maß nicht außer sich sucht, ist ohne Würde. So lebt der Wurm.

wurm

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Der Philosoph hat keinen Gott.

ueber den wassern

Der Philosoph hat gar keinen Gott und kann keinen haben, er hat nur einen Begriff vom Begriff oder der Idee Gottes. Gott und Religion gibt es nur im Leben, aber der Philosoph ist als solcher kein ganzer lebendiger Mensch, sondern im Zustande der Abstraktion; und es ist unmöglich, daß jemand nur Philosoph sei.

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Johann Gottlieb Fichte, Rü[c]kerinnerungen, Antworten, Fragen, Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 130

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Weichensteller

Eigentliche Philosopheme einer Transzendentalphilosophie sind an sich tot und haben gar keinen Einfluß in das Leben, weder guten noch bösen; ebenso wenig als ein Gemälde gehen kann. Auch ist es ganz gegen den Zweck dieser Philosophie, sich den Menschen als Menschen mitzuteilen. Der Gelehrte als Erzieher und Führer des Volks, besonders der Volkslehrer, soll sie allerdings besitzen, als Regulativ, als pädagogische Regel, und nur in ihm werden sie insofern praktisch; nicht aber sie ihnen selbst mitteilen, welche sie gar nicht verstehen noch beurteilen können. (Man sehe meine Sittenlehre.) Aber daß er sie treu und mit Eifer anwende, wird dieser gute Wille schon vorausgesetzt, aber nicht etwa durch sie hervorgebracht: ebenso wie bei dem Philosophen von Profession Unparteilichkeit, Wahrheitsliebe [und] Fleiß schon vorausgesetzt, nicht aber durch sein Philosophieren erst erzeugt wird.

Stellschraube

aus: Johann Gottlieb Fichte, Rückerinnerungen, Nachfragen, Antworten in: Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 134

Stachel

Was soll denn nun eine Philosophie, und wozu bedarf es der spitzfindigen Zurüstung derselben, wenn sie gesteht, dass sie für das Leben nichts andres sagen, zu demselben [sich] nicht einmal als Instrument bilden kann; daß sie nur Wissenschaftslehre, keineswegs Weisheitsschule ist?

Ich erinnere auch hier an die oft gegebene Antwort. Ihr Hauptnutzen ist negativ und kritisch. Es mangelt in dem, was nun gewöhnlich für Lebensweisheit gehalten wird, nicht daran, daß sie zu wenig, sondern daran, daß sie zu viel enthält. Man hat eben die erräsonierten Sätze der oben beschriebenen erschaffenden Metaphysik hereingetragen – und diese sollen [wieder heraus] gesondert werden. Sie hat die Bestimmung, die gemeine Erkenntnis von aller fremden Zutat zu reinigen.

Dies hat ihnen Kant zur Genüge gezeigt.

Mittelbar, d. h. inwiefern ihre Kenntnis mit der Kenntnis des Lebens vereinigt ist, hat sie auch einen positiven Nutzen. Für das unmittelbar praktische pädagogische im weitesten Sinn des Worts: Sie zeigt, wie man die Menschen bilden müsse, um moralische, echtreligiöse, legale Gesinnungen in ihnen hervorzubringen und nach und nach allgemein zu machen. Für die theoretische Philosophie, Erkenntnis der Sinnenwelt, Naturwissenschaft ist sie regulativ. Sie zeigt, was man von der Natur fragen müsse.

Ihr Einfluß auf die Gesinnung des Menschengeschlechts überhaupt ist, daß sie ihnen Kraft, Mut und Selbstvertrauen beibringt, indem sie zeigt, daß sie und ihr ganzes Schicksal lediglich von sich selbst abhängen; indem sie den Menschen auf seine eignen Füße stellt.

aufrecht gehen

aus: Johann Gottlieb Fichte, Rückerinnerungen, Nachfragen, Antworten in: Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 122f.

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Tätiger

Tätigkeit ist die eigentliche Realität. Weder Gegenstand noch Zustand sind allein rein zu denken. Durchs Reflektieren mischt sich das  Entgegengesetzte hinein und selbst schon durchs Streben – Begehren – denn beides sind identische Handlungen. Der Begriff der Identität muss den Begriff der Tätigkeit enthalten – des Wechsels in sich selber.

wechsel

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Novalis, Fichte-Studien, in: Gesammelte Werke, Herrliberg-Zürich 1945, Bd. 2, S. 83

Philosophieren schafft keine Realität.

schaffen

Ausdrücklich und ganz bestimmt durch das Nichtphilosophieren, d. h. dadurch, daß man zur philosophischen Abstraktion sich nie erhoben oder von der Höhe derselben sich wieder in den Mechanismus des Lebens [und] gemeinen Denkens hineinversetzt, entsteht uns alle Realität; und umgekehrt, sowie man sich zur Spekulation erhebt, verschwindet diese Realität gänzlich. Nun ist das Leben Zweck, keinesfalls das Spekulieren; das letztere ist nur Mittel. Und es ist nicht einmal Mittel, das Leben zu bilden; es liegt in einer ganz anderen Welt. Was auf das Leben Einfluß haben soll, muß selbst aus dem Leben hervorgegangen sein. Es ist lediglich Mittel, das Leben zu erkennen.

Worin man befangen ist, was man selbst ist, kann man nicht erkennen; man müßte aus demselben herausgehen, aufhören, es zu sein, sich auf einen Standpunkt außerhalb desselben stellen. Dieses ist die Spekulation; dieser Standpunkt außer dem wirklichen Leben kein Satz einer Philosophie, die sich selbst kennt, ist in dieser Gestalt, noch verlangt zu sein, ein Satz für das wirkliche Leben; sondern er ist entweder ein Hilfssatz des Systems, um weiter fortzuschreiten, oder, wenn die Spekulation über einen Punkt des Nachdenkens geschlossen [ist], ein Satz, zu dem erst die Empfindung und Wahrnehmung hinzukommen muß, um im wirklichen Leben brauchbar zu sein. Die Philosophie, selbst [wenn] vollendet, kann die Empfindung nicht geben, und diese ist das ein[z]ige wahre ist sie. Nur inwiefern es diesen höhern Standpunkt und diese beiden entgegengesetzten Standpunkte gab, ist es dem Menschen möglich, sich selbst zu erkennen. Man kann leben und vielleicht der Vernunft ganz gemäß leben, ohne zu spekulieren; man kann leben, ohne das Leben zu erkennen. Aber man kann das Leben nicht erkennen, ohne zu spekulieren. Also – inneres Lebensprinzip.

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Johann Gottlieb Fichte, Rückerinnerungen, Nachfragen, Antworten in: Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 118ff.

Maurits Cornelis Escher, Selbstbildnis

Es gibt zwei sehr verschiedene Standpunkte des Denkens; den des natürlichen und gemeinen, da man unmittelbar Objekte denkt, und den des vorzugsweise so zu nennenden künstlichen, da man, mit Absicht und Bewußtsein, sein Denken selbst denkt. Auf dem ersten steht das gemeine Leben, und die Wissenschaft; auf dem zweiten die Transzendentalphilosophie, die ich eben deshalb Wissenschaftslehre genannt habe, Theorie und Wissenschaft alles Wissens, keineswegs aber selber ein reelles und objektives Wissen.

Die philosophischen Systeme vor Kant kannten großenteils ihren Standpunkt nicht recht, und schwankten hin und her zwischen beiden. Das unmittelbar vor Kant herrschende Wolffisch-Baumgartensche stellte sich mit seinem guten Bewußtsein in dem Standpunkte des gemeinen Denkens und hatte nichts geringeres zur Absicht, als die Sphäre desselben zu erweitern und durch die Kraft ihrer Syllogismen neue Objekte des natürlichen Denkens zu erschaffen. […]

Diesem System ist das unsrige darin gerade entgegengesetzt, daß es die Möglichkeit, ein für das Leben und die Wissenschaft gültiges Objekt durch das bloße Denken hervorzubringen, gänzlich ableugnet und nichts für reell gelten läßt, das sich nicht auf innere oder äußere Wahrnehmung gründet. In dieser Rücksicht, inwiefern die Metaphysik das System reeller, durch das bloße Denken hervorgebrachter Erkenntnisse sein soll, leugnet z. B. Kant, und ich mit ihm, die Möglichkeit der Metaphysik gänzlich. Er rühmt sich, dieselbe mit der Wurzel ausgerottet zu haben, und es wird, da noch kein verständiges und verständliches Wort vorgebracht worden, um dieselbe zu retten, dabei ohne Zweifel auf ewige Zeiten sein Bewenden haben.

Unser System, das die Erweiterungen wieder zurückweist, läßt sich ebensowenig einfallen, das gemeine und allein reelle Denken selbst zu erweitern,  sondern will dasselbe lediglich darstellen und erschöpfend umfassen. Wir denken im philosophischen, das objektive Denken. Unser philosophisches Denken bedeutet nichts und hat nicht den mindesten Gehalt; nur das in diesem Denken gedachte Denken bedeutet und hat Gehalt. Unser philosophisches Denken ist lediglich ein Instrument, durch welches wir unser Werk zusammensetzen. Ist das Werk fertig, so wird das Instrument als unnütz weggeworfen.

M. C. Escher

Johann Gottlieb Fichte, Rückerinnerungen, Nachfragen, Antworten in: Gesamtausgabe, Bd. II/5, S. 111-115

Verfasst von ebmeierjochen

Zugriff

Die Demonstrationen der Philosophie sind eben Demonstrationen im Sinne der militärischen Kunstsprache. Mit den Deduktionen steht es auch nicht besser wie mit den politischen; auch in den Wissenschaften besetzt man erst ein Terrain, und beweist dann hinterdrein sein Recht daran. … Soll beides gleich gut gemacht werden, so ist es unstreitig viel schwerer behaupten,

Spinnerin

als beweisen. Es gibt Demonstrationen die Menge, die der Form nach vortrefflich sind, für schiefe und platte Sätze. Leibniz behauptete, und Wolff bewies. Das ist genug gesagt.

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Friedrich Schlegel, Athenaeums-Fragmente N° 82

korsischer Menhir

Das wunderbarste, das ewige Phänomcn, ist das eigene Dasein. Das größeste Geheimnis ist der Mensch sich selbst – Die Auflösung dieser unendlichen Aufgabe in der  T a t .ist die Weltgeschichte. – Die Geschichte der Philosophie, oder der Wissenschaft im Großen, der Literatur als Substanz, enthält die Versuche der idealen Auflösung dieses idealen Problems – dieser gedachten Idee. Dieser Reiz kann nie aufhören zu sein – ohne daß wir selbst aufhörten sowohl der Sache als der Idee nach. So wenig also die Weltgeschichte aufhört – das Sein en gros, so wenig wird das Philosophieren oder das Denken en gros aufhören.

Wenn man aber bisher noch nicht philosophiert hätte – sondern nur zu philosophieren versucht hätte – so wäre die bisherige Geschichte der Philosophie nichts weniger als dies, sondern nichts weiter als eine Geschichte der Entdeckungsversuche des Philosophierens.

Sobald philosophiert wird, gibt es auch Philosopheme, und die reine Naturgeschichte (Lehre) der Philosopheme ist die Philosophie. Jede Affektion schreibt der Mensch einer andern Affektion zu, sobald er zu denken anfängt.

(Jeder Gedanke ist – in Rücksicht auf seinen Grund – ein Philosophem, denn dies heißt einen Gedanken im Großen betrachten – in seinem Verhältnis zum Ganzen, an dem er ein Glied ist.)

So überträgt er den Begriff von Ursache, den er zu jeder Wirkung hinzudenken muß, zum Behuf einer Erklärung auf ein außer ihm befindliches Wesen – ohnerachtet er sich in einer andern Rücksicht zu der Überzeugung gezwungen fühlt, daß nur er selbst sich affiziere – diese Überzeugung bleibt aber trotz ihrer Evidenz auf einem höhern Standpunkt auf einem niederen, id est für den bloßen Verstand unbegreiflich – und der Philosoph sieht sich daher, mit voller Besonnenheit, eingeschränkt urteilen. Auf dem Standpunkt des bloßen Urteilens gibt es also ein Nichtich. Der geheimnisvolle Reiz für die Urteilskraft zu erklären, was auf diesem Wege ewig unerklärbar ist, bleibt also trotz der Übersicht des Philosophen, und muß, damit die Intelligenz bleibe, in alle Ewigkeit so bleiben.

Passiv fühlt sich demnach der Mensch nur auf der Stufe des bloßen Urteilens.

Begreifen werden wir uns also nie ganz; aber wir werden und können uns selbst weit mehr als begreifen.

Skulptur nach Hieronymus Bosch

Novalis, Neue Fragmente N°2149, aus: Projekt Gutenberg

Problem

Die Verwandlung eines Satzes oder mehrerer in ein Problem ist eine Erhebung. Ein Problem ist weit mehr als ein Satz. Höchstes, allumfassendes Problem. kein Problem

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Novalis, Neue Fragmente N°1330, aus: Projekt Gutenberg

unendlich

Im praktischen Felde geht die Einbildungskraft fort ins Unendliche, bis zu der schlechthin unbestimmbaren Idee der höchsten Einheit, die nur nach der vollendeten Unendlichkeit möglich wäre, welche selbst unmöglich ist.geplatzt

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Johann Gottlieb Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, PhB S. 138

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Unum, verum, bonum, pulchrum: Das Eine Absolute ist keine logische, es ist keine ethische, es ist eine ästhetische Idee. Es ist sogar die ästhetische Idee schlechthin. Was sollte denn, jenseits von seiner brauchbaren Richtigkeit, am Wahren besser sein als das Unwahre? Was sollte, jenseits von seinen gesellschaftlichen Vorteilen, am Guten besser sein als das Böse? Es ist genau das, was am Schönen

unvermeidlicher Zirkel

Daß der menschliche Geist “notwendig etwas Absolutes außer sich setzen muß und dennoch von der andern Seite anerkennen muß, daß dasselbe für ihn da sei, ist derjenige Zirkel, den er ins Unendliche erweitern, aus welchem er aber nicht heraustreten kann. Es ist nur da, inwiefern man es nicht hat, und entflieht, sobald man es auffassen will. Über diesen Zirkel hat man nun nicht Ursache, betreten zu sein. Verlangen, daß er gehoben werde, heißt verlangen, daß das menschliche Wissen völlig grundlos sei, daß es gar nichts schlechthin Gewisses geben, sondern daß alles menschliche Wissen nur bedingt sein, und daß kein Satz an sich, sondern jeder nur unter der Bedingung gelten solle, daß derjenige, aus dem er folgt, gelte. Mit einem Worte, es heißt behaupten, daß es nur vermittelte Wahrheit gebe – und ohne etwas, wodurch sie vermittelt wird.”[1] Das absolute Wodurch ist nicht gegeben, sondern denknotwendig, nicht Faktum, sondern Fiktum. Es “kann nur eine Idee sein; ein bloßer Gedanke in uns, von welchem gar nicht vorgegeben wird, daß ihmFichte in der wirklichen Welt außer uns etwas entspräche. Ideen können unmittelbar nicht gedacht werden. Sie sind Aufgaben eines Denkens, und nur, inwiefern wenigstens die Aufgabe begriffen werden kann, kommen sie in unserm Bewußtsein vor.”[2]


1)  Johann Gottlieb Fichte, Gesamtausabe, Bd. I.2, S. 412, 414; 133

2) ebd., Bd. I.5, S. 75

Ich?

Ich bedeutet jenes negativ zu erkennende Absolute, das nach aller Abstraktion übrig bleibt. Was nur durch Handeln realisiert werden kann und was sich durch ewigen Mangel realisiert. (So wird Ewigkeit durch Zeit realisiert, ohnerachtet Zeit der Ewigkeit widerspricht.) Ich wird nur im Entgegengesetzten wirksam und bestimmt für sich.

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Novalis, Fichte-Studien, in: Gesammelte Werke, Herrliberg-Zürich 1945, Bd. 2, S. 173

Bohrung

Ich bin für mich der Grund alles Denkens, der absolute Grund, dessen ich mir nur durch Handlungen bewusst werde – Grund aller Gründe für mich, Prinzip meiner Philosophie ist mein Ich. Dieses Ich kann ich nur negativerweise zum Grund alles meines Philosophierens machen, indem ich so viel zu erkennen, zu handeln und dies so genau zu verknüpfen suche, als möglich; letzteres durch Reflexion. Je unmittelbarer, direkter ich etwas vom Ich ableiten kann, je erkannter, begründeter ist es mir.

Ergründen ist philosophieren..

Atlas————————

Novalis, Fichte-Studien, in: Gesammelte Werke, Herrliberg-Zürich 1945, Bd. 2, S. 174

knabe

Das Kind staunt über alles, und das ist der Anfang der Philosophie – darüber waren sich Plato und Aristoteles einig. Der Kindskopf staunt nicht mehr, er weiß mit der Philosophie schon Bescheid.Léopold Boilly, Selbstbildnis

Sie ist ihm ein Kaufhauskatalog mit vielen schönen Angeboten, da sucht er sich eins aus, das ihm am besten gefällt: Er „wählt einen philosophischen Standpunkt“. Das ist schön für ihn und sei ihm gegönnt. Es ist sein Privatvergnügen, und dabei soll es bleiben. Er kann in einem Chatroom darüber plaudern wie über vegetarische Ernährung und oder Hundeaufzucht. Mit Philosophie hat es nichts zu tun.

Der Philosoph sichtet das überkommene gedankliche Erbe und unterzieht die vorgetragenen Gründe, so gut er kann, seiner Prüfung; wobei er, wo immer er staunt, nicht zögert, einen erfahrenen Mann vom Fach zu Rat zu ziehen. Und wenn er Glück hat und wenn er nicht locker lässt, kommt er irgendwann zu eigenen Ergebnissen. disputatioDie stellt er, wie er kann, öffentlich zur Diskussion. Da wird man ihm vielleicht bedeuten, dass er bei seiner kritischen Sichtung der Gründe was Wesentliches übersehen habe und dass er noch mal neu anfangen solle. Oder man wird ihm sagen, dass seine Ergebnisse vor ihm schon von andern vorgetragen und von wieder anderen bereits widerlegt worden seien. Da wird er, wenn es zutrifft, von sich aus neu anfangen.

Das ist der Unterschied zwischen einem Kindskopf und einem Philosophen – und allen, die es werden wollen.

Der Mensch kann sich selbst fraglich werden.

Die Bedeutungen tierischer Umwelten haben alle einen gemeinsamen Nenner: Sie sind Funktionen der Erhaltung – der Individuen wie der Art. Was keinen Erhaltungswert hat, kommt in ihnen, wenn es auch ‘da’ ist, buchstäblich nicht vor. Der Mensch hat aber vor Jahrmillionen seine Urwaldnische verlassen und ist aus der ererbten Umwelt in eine fremde Welt aufgebrochen. Deren Bedeutungen waren nicht ererbt; er mußte sie selber heraus-, d. h. hineinfinden: Ihm kann alles bedeutsam werden. Und die Bedeutung ist, seit er einmal dem Überfluß begegnet war, nicht mehr auf den Erhaltungswert beschränkt: Jedes kann ihm Vieles bedeuten, und er kann sich sogar selber fraglich werden.

Natürlich kann der Erhaltungswert einer Sache für mich zu einem Urteilsgrund werden. Aber er muss nicht. Der Mensch kann Nein sagen. Kritik, wie Krisis, kommt von gr. krínein, entscheiden. Der Mensch ist das kritische Tier, das Wesen, das allezeit urteilt, weil es sich stets entscheiden muß. Die Erscheinungen, zu denen er -, die Situationen, in denen er Ja oder Nein sagen muss, erheischen Maßstäbe: Bedeutungen, unter die er sie fassen kann. Die hat er im Laufe seiner Geschichte in Symbolen fixiert und zerbrochenin ein Repertoire gefügt, wo sie ihm vorrätig sind. Jetzt sieht es so aus, als seien die Bedeutungen vor den Dingen da. Die symbolische Form verleiht ihnen einen Anschein von Dauer und Wahrheit, die ihnen doch nur zukommen, wenn und inwiefern sie in realen Situationen je aktualisiert werden: im handelnden Urteil. Und dann ist es “so, als ob” er sie jedesmal neu erfunden hätte. Denn er hätte, wohlgemerkt, auch Nein sagen können.

.Eine Sache-selbst ist immer singulär und individuell. Sie ist nicht teilbar undnicht mit-teilbar. Man kann lediglich (auf) sie zeigen. Sie “symbolisiert” sich-selbst. Das gilt auch für Sach-Verhalte, sofern sie gedacht werden als bloß summative Koexistenz mehrer Sachen im Raum und in der Zeit. Sofern sie aber gedacht werden als ein Wirkungsverhältnis, als eine Beziehung, die ‘mehr’ ist als eine Summe, so ist dies eine Bedeutung, die den Sachen zu-gedacht wird. Das gilt freilich bereits für die Annahme, dass “es” die Sache als Singulum “gibt”. Denn diese Annahme ist schon eine abstraktives Urteil. Im bloßen Merken kommt lediglich ein ungeschiedener Fluss von Sinneseindrücken vor. Das Herausheben eines Komplexes von Sinneseindrücken als diese Sache ist ein Auf-Merken: das Zuschreiben einer Bedeutung. Als solches lässt es sich allerdings symbolisieren.

Leben ist für die Wissenschaft gleich Stoffwechsel plus Fortpflanzung. Allein, der Mensch kann sich unter allen Kreaturen nicht damit begnügen. Weil er nicht mehr in einer geschlossenen Umwelt zu Hause ist, die ihm seine Bestimmung vorgibt, sondern in einer offenen Welt, wo er sein Leben führen muss – und das ist ein Problem. Nur weil er es hat, sagt er “ich”. Es ist die Conditio humana selbst und liegt offenbar jenseits der Naturwissenschaft.

Was die Dinge seiner Umwelt dem Tier bedeuten, “versteht sich von selbst” – da muß es das Tier nicht auch noch verstehen. Die Gattung und ihre Umwelt sind gewissermaßen durch Vererbung miteinander verwandt. Dem Menschen werden die Bedeutungen der Dinge durch Symbole mitgeteilt, die ihm von andern Menschen überliefert wurden: Deren Bedeutungen muß er jedesmal wieder selber realisieren, nämlich verstehen.

(Zur Erinnerung: Symbole bezeichnen immer die Bedeutungen der Dinge; nicht die Dinge selbst; die “erscheinen” ja leibhaftig.).

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Die Welt ist nicht “alles, was der Fall ist”.

Nein, sie ist ein Tableau von Bedeutungen, die von den Generationen, die vor uns waren, festgehalten und zu einem “Symbolnetz” (Ernst Cassirer) geknüpft wurden. Darum nehmen wir gar keine ‘Dinge’ wahr, sondern immer nur ‘das, was sie bedeuten’. Die Abstraktion davon: die Frage nach dem Ding, wie es ‘an sich ist’, gehört nicht zum natürlichen Bewusstsein, sondern schon zur Wissenschaft.

…was zum Bestimmungsgrund für mein Handeln werden könnte; mich veranlassen kann, mein Leben so oder anders zu führen. Die Bedeutung eines Dinges feststellen heißt urteilen. “Der Mensch muss urteilen” und “der Mensch muss handeln” bedeuten dasselbe. Handeln heißt nicht bloß ‘etwas tun’ (das tut das Tier auch), sondern: einen Grund dafür haben.

… sondern in Bedeutungen. Evolution ist Auslese und Anpassung. Im Laufe ihrer Geschichte hat jede Spezies ihre ökologische Nische gefunden und hat sie zu ihrer Umwelt eingerichtet. Jede tierische Umwelt bildet nach Jakob von Uexküll, dem Begründer des biologischen Umwelt-Begriffs, “eine in sich geschlossene Einheit, die in all ihren Teilen durch die Bedeutung für das Subjekt beherrscht wird. Alles und jedes, das in den Bann einer Umwelt gerät, wird umgestimmt und umgeformt, bis es zu einem brauchbaren Bedeutungsträger geworden ist – oder es wird völlig vernachlässigt.”

Aller wircklicher Anfang ist ein 2ter Moment. Alles, was da ist, erscheint, ist und erscheint nur unter einer Voraussetzung – sein individueller Grund, sein absolutes Selbst geht ihm voraus – muß wenigstens vor ihm gedacht werden. Ich muß allem etwas absolutes Vorausdenken – voraussetzen – nicht auch Nachdenken, Nachsetzen? [Vorurteil] Vorsatz. Vorempfindung. Vorbild. Vor Fantasie. Project.

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Aus: Novalis, Dichtungen und Fragmente, Leipzig 1989, S. 438

“Einiges muss die Philosophie einstweilen auf ewig voraussetzen, und sie darf es, weil sie es muss.”

aus: Athenaeum, Bd. I, 2. Stück

…auf das Wahre?

Aber was wäre am Wahren besser als das Falsche – es sei denn, es ließe sich im praktischen Leben besser zu sachlich Nützlichem verwerten?

…auf das Gute?

Aber was wäre am Guten besser als das Schlechte – es sei denn, wer Gutes tut, der könnte auch hoffen, dass Andere ihm Gutes täten? Also besser als seine soziale Nützlichkeit?

…auf das Schöne?

Das muss es sein! Denn es teilt, unerachtet aller Nützlichkeiten, dem Wahren und dem Guten diese seine besondere Qualität mit: dass sie alle ‘ohne Interesse gefallen’.

Tagebücher, Werkausgabe Bd. 1,

S. 167: …Ich weiß, dass diese Welt ist. Dass ich in ihr stehe wie mein Auge in seinem Gesichtsfeld. Dass etwas an ihr problematisch ist, was wir ihren Sinn nennen. Dass dieser Sinn nicht in ihr liegt, sondern außer ihr. Dass das Leben die Welt ist. Dass mein Wille die Welt durchdringt.

[11. 6. 1916]

Tractatus,

6.4321: Die Tatsachen gehören alle nur zur Aufgabe, nicht zur Lösung.

Vermischte Bemerkungen, Hg. G. H. v. Wright, Ffm. 1994

S. 21: Meine Art des Philosophierens… – Diese Methode ist im Wesentlichen der Übergang von der Frage nach der Wahrheit zur Frage nach dem Sinn.

[ca. 1929]

S. 28: Zum Staunen muß der Mensch – und vielleicht Völker – aufwachen. Die Wissenschaft ist ein Mittel, um ihn wieder einzuschläfern.

[5.11.1930]

S. 152: Wissenschaftliche Fragen können mich interessieren, aber nie wirklich fesseln. Das tun für mich nur begriffliche & ästhetische Fragen. Die Lösung wissenschaftlicher Probleme ist mir, im Grunde, gleichgültig; jener andern Fragen aber nicht.

[21.1.1949]

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Qualität ist alles, was unmittelbar verknüpft ist mit dem Urteil „ja, das will ich“ oder „nein, das will ich nicht“.

Das ist ein ästhetisches Urteil.

Und ein Maß gibt es dafür nicht.

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„Man muss also doch alles ‚aus Prinzip’ tun?!“ Sie blickte ihn an, sein Lächeln erwidernd.

Er aber antwortete: „Ja; aber nur aus einem Prinzip!”

Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Hamburg 1952, S. 1029

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Intelligenz!

Man kann Humor haben, ohne intelligent zu sein. Doch kann man intelligent nicht sein ohne Humor.

Scharfsinnig kann man auch ohne Humor sein. Scharfsinn ist das Vermögen, Unterschiede zu erkennen, die nicht ins Auge springen.

Intelligenz ist Gedächtnis plus Humor. Allein das Gedächtnis bildet den Sinn für die Unterschiede. Der Humor sieht Bezüge dort, wo man sie nicht erwartet.

Gedächtnis kann man trainieren. Humor nicht. Doch den muss man unterhalten.

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“Ich weiß nichts”

Der Satz ‘ich weiß nichts’ ist offenbar ein Widerspruch in sich. Er setzt sich aus zwei Aussagen zusammen: 1) Ich weiß etwas; und 2) dieses Etwas ist Nichts. Doch wenn Nichts Nichts ist, kann ich davon nicht Etwas wissen. Wir wissen immer entweder Etwas, oder wir wissen Etwas nicht. Schon die Kinder wenden ein: Wenn ich Nichts weiß, dann weiß ich zumindest Dieses. Nämlich mindestens, was Wissen ist! Aber dann darf ich nicht mehr sagen, dass ich das nicht weiß. Wissen und Nichtwissen sind logisch nicht gleichrangig; nicht ‘gleich-ursprünglich’. Dass ‘Wissen ist’, ist allezeit vorausgesetzt. Es “kommt vor”, dass ich nicht weiß, was dieses oder jenes ist; aber das weiß ich. Der Gegenpol zu Wissen ist nicht Nichtwissen, sondern Fragen.

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Dass wir ‘etwas wissen’, ist eine empirische Tatsache, oder eine phänomenale Gegebenheit; es “kommt vor”… Unsicherheit besteht darüber, was mit ‘Etwas’ bezeichnet ist, und darüber, was mit ‘Wissen’ bezeichnet ist. Aber das sind nicht zwei verschiedene Unsicherheiten, sondern ein und dieselbe. ‘Etwas’ kommt nur im Wissen vor, und ‘Wissen’ kommt nur als Wissen von Etwas vor. Wenn nicht das eine, dann auch nicht das andre.

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Vom Sprechen

und dem Vergessen

Der Mensch fragt wohl einmal das Tier: warum redest du mir nicht von deinem Glücke und siehst mich nur an? Das Tier will auch antworten und sagen: das kommt daher, dass ich immer gleich vergesse, was ich sagen wollte – da vergaß es aber auch schon diese Antwort und schwieg: so dass der Mensch sich darob verwunderte.

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Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen. Nietzsche-Werke (ed. Schlechta) Bd. 1, S. 211

„In der Sprache liegt die Reflexion, und darum kann die Sprache das Unmittelbare nicht aussagen. Die Sprache tötet das Unmittelbare… Das Unmittelbare ist nämlich das Unbestimmbare, und darum kann die Sprache es nicht auffassen; dass es aber das Unbestimmbare ist, ist nicht seine Vollkommen- heit, sondern ein Mangel an ihm.“

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Sören Kierkegaard, Entweder-Oder, München 1975, S. 85

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“Je begreiflicher uns das Universum wird, umso sinnloser erscheint es auch.”

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Steven Weinberg (Nobelpreis Physik 1979) in: “Die ersten drei Minuten”, München 1978; S. 212

“Was tu ich, indem ich philosophiere? Ich denke über einen Grund nach, dem Philosophieren liegt also ein Streben nach dem Denken eines Grundes zu Grunde. Grund ist aber nicht Ursache im eigentlichen Sinne, sondern innere Beschaffenheit – Zusammenhang mit dem Ganzen. Alles Philosophieren muss also bei einem absoluten Grunde endigen. Wenn dieser nun nicht gegeben wäre, wen dieser Begriff eine Unmög- lichkeit enthielte, so wäre der Trieb zu philosophieren eine unendliche Tätigkeit und darum ohne Ende, weil ein ewiges Bedürfnis nach einem absoluten Grunde vorhanden wäre, was doch nur relativ gestillt werden könnte – und darum nie aufhören würde. Durch das freiwillige Entsagen des Absoluten entsteht die unendliche freie Tätigkeit in uns – das einzig mögliche Absolute, was uns gegeben werden kann und das wir durch unsre Unvermögenheit, ein Absolutes zu erreichen und zu erkennen, finden. Dies uns gegebene Absolute lässt sich nur negativ erkennen, indem wir handeln und finden, dass durch kein Handeln das erreicht wird, was wir suchen.

Das ließe sich ein absolutes Postulat nennen.”

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Novalis, Fichte-Studien, in: Gesammelte Werke, Herrlibrg-Zürich 1945, Bd. 2, S. 172

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“Bevor es Boote gab, gab es keine Buchten.” Erich Rothacker, Probleme der Kulturanthropologie, Bonn 1968

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Persona heißt Maske

Wenn unter Psychologen ‘Triebe’ und ‘Instanzen’ zergliedert und ‘Rollen’ und ‘Verhaltensweisen’ aus ein- ander genommen werden, kommt immer irgendwann einer, der all der Erbsenzählerei die ‘Ganzheit der Person’ entgegen hält.

Aber dann heißt es unweigerlich: “Persona bedeutet im Lateinischen aber Maske!”

Und damit ist die Person als bloße Fassade entlarvt.

Die Etymologie ist zwar richtig. Aber die Interpretation ist falsch. Persona kommt von lat. per-sonare, hindurch-klingen. Im Antiken Drama – Tragödie und Komödie, sonst gab es nichts – trugen die Schauspieler Masken, die die ‘Rolle’ charakterisierten und das rein zufällige “echte” Gesicht verdeckten. Persona bezeichnet nun aber nicht die Fläche, die verdeckt, sondern im Gegenteil die Öffnung, die ausgespart bleibt – den Mund -, durch die das Wort des Dichters ‘hindurch-klingt’. Das Wort des Dichters ist das Wahre am Drama, nicht die physischen Zufälligkeiten derer, die es auf die Bühne bringen.

In den frühen Christengemeinden Italiens hieß auch der Priester persona: Er ist das Organ, durch welches das Wort Gottes erklingt. (Noch heute heißt der englische Gemeinde- pfarrer parson.) ‘Person’ bedeutet nicht Maske, sondern Offenbarung des Eigentlichen.

Ist es aber eine wahre Bedeutung oder eine falsche?




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