Fichtiana
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Hat meine Gewissheit einen Grund?
Das Gefühl ist entweder sinnlich und das des Bittern, Roten, Harten, Kalten usw., oder intellektuell. Herr E. und mit ihm alle Philosophen seiner Schule scheint die letztere Art gänzlich zu ignorieren, nicht zu beachten, daß auch eine solche Gattung angenommen werden müsse, um das Bewußtsein begreiflich zu machen.
Ich habe es hier mit dem ersten nicht zu tun, sondern mit dem letztern. Es ist das unmittelbare Gefühl der Gewißheit und Notwendigkeit eines Denkens. – Wahrheit ist Gewißheit: und woher glauben die Philosophen der entgegengesetzten Schule zu wissen, was gewiß ist? Etwa durch die theoretische Einsicht, daß ihr Denken mit den logischen Gesetzen übereinstimmt? Aber woher wissen sie denn, daß sie sich in diesem Urteile über die Übereinstimmung nicht wieder irren? Etwa wieder durch theoretische Einsicht? Aber wie denn hier? – Kurz, da werden sie ins Unendliche getrieben, und ein Wissen ist schlechthin unmöglich. – Überdies, ist denn Gewißheit ein Objektives, oder ist es ein subjektiver Zustand? Und wie kann ich einen solchen wahrnehmen, außer durch das Gefühl?
/147/ Es ist klar, daß dieses Gefühl nur mein Denken begleitet und nicht eintritt ohne dieses. – Daß das Gefühl eine Wahrheit geben solle, ist unmöglich und würde keinen Sinn haben. Es, dieses Gefühl der Gewißheit und Wahrheit, begleitet nur ein gewisses Denken.
Es ist klar, daß, wenn ein solches Denken die Bedingung der Vernünftigkeit selbst ist und das Gefühl der Gewißheit unabtrennlich einfaßt, alle Menschen über dieses Gefühl übereinkommen müssen und es jedem anzumuten ist, wenn es ihm auch nicht anzudemonstrieren wäre, welches in Absicht des Unmittelbaren überhaupt nirgends stattfindet.
Es ist dieses Gefühl ein intellektuelles Gefühl.
Es ist dies der Grund aller Gewißheit, aller Realität, aller Objektivität.
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aus: J. G. Fichte, “Rückerinnerungen, Antworten, Fragen” in Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 146f.
[Das Urteil über einen Gegenstand der Sittlichkeit nämlich kann falsch oder richtig sein:]
…nie das Gefühl, welches ein absolut einfaches, gar keine Beziehung ausdrückendes ist.
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Johann Gottlieb Fichte, Rü[c]kerinnerungen, Antworten, Fragen, Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 141
Sein sittliches Gefühl ist richtig: dies ist immer richtig. Es fehlt bei ihm nur an dem guten Willen, sein Handeln darauf zu beziehen. Dieser muß durch Bildung des ganzen Menschen und Erziehung, nicht etwa durch einseitige theoretische Verstandesbildung hervorgebracht werden.
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Johann Gottlieb Fichte, Rü[c]kerinnerungen, Antworten, Fragen, Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 144
Der wahre Sitz des Widerstreits meiner Philosophie und der entgegengesetzten, welche letztern sich dieses Punktes mehr oder weniger deutlich bewußt sind [sic], ist über das Verhältnis der (bloßen, auf ein Objekt gehenden) Erkenntnis zum wirklichen Leben; (zum Begehrungsvermögen, Gefühle, Handeln). Die entgegengesetzten Systeme machen die Erkenntnis zum Prinzip des Lebens: sie glauben, durch freies, willkürliches Denken gewisse Kenntnisse und Begriffe erzeugen zu können, und meinen, daß diese das Begehrungsvermögen affizieren, Gefühle hervorbringen und das Handeln der Menschen bestimmen können. Ihnen ist also die Erkenntnis das Obere, und das Leben das dadurch bestimmte Niedere und von dem ersten Abhängende.
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.Unsere Philosophie macht umgekehrt das Leben, das System der Gefühle, des Begehrens zum Höchsten und läßt der Erkenntnis überall nur das Zusehen. Es ist nach ihr ein solches System der Gefühle bestimmt: es ist freilich mit ihnen ein Bewußtsein verknüpft; und dies gibt eine unmittelbare, nicht eine durch /138/ Folgerungen erschlossene, durch freies, auch zu unterlassendes Räsonnement erst erzeugte Erkenntnis. Nur diese unmittelbare Erkenntnis hat Realität, ist, als aus dem Leben kommend, etwas das Leben bewegendes: und wenn philosophisch die Realität einer Erkenntnis erwiesen werden soll, muß ein Gefühl – ich will mich hier noch dieses Worts bedienen und werde über den Gebrauch desselben sogleich noch bestimmtere Rechenschaft geben – aufgezeigt werden, an welches diese Erkenntnis sich unmittelbar anschlösse.*
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Das freie Räsonnement kann jene Erkenntnis nur durchleuchten, läutern, verknüpfen und trennen, das Mannigfaltige derselben, und dadurch den Gebrauch desselben sich erleichtern und sich fertiger darin machen: aber sie [sic] kann es nicht vermehren. Unsere Erkenntnis ist uns mit einem Male, für alle Ewigkeit gegeben, und wir können dieselbe nur weiter entwickeln, den Stoff nur aus eben diesem Stoff vermehren.
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Nur das Unmittelbare ist wahr: und das Vermittelte ist wahr, inwiefern es sich auf jenes gründet, außerdem Schimäre und Hirngespinst.
*) Das Leben ist die Basis: und wenig bedeuten die Worte.
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Aus: J. G. Fichte, “Rückerinnerungen, Antworten, Fragen”, in Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 137f.
Fichte hat den Ausdruck proiectio per hiatum irrarionalem in seiner Auseinandersetzung mit Jacobi geprägt. Jacobis Argument gegen den Idealismus war dieses: Der Idealismus führe unweigerlich in einen unendlichen Regress, bei dem er nie zu einem Absoluten vordringen könnte, bei dem er Ruhe fände. Man müsse aus dem idealistischen Verfahren resolut heraustreten und könne zu einem Absoluten nur durch einen setzenden Akt gelangen. Diesen Akt nennt er Glauben, sein ‚Grund’ ist Offenbarung.
In der WL 042 versucht Fichte, Jacobi zum Trotz, auf real-idealistischen Wegen ein absolutes Reale ‚her’ zu leiten; auf abenteuerlichen Wegen!
Doch Jacobi hatte Recht. Der idealistische Regress muss einmal abgebrochen werden. Das ‚Problem’ des Absoluten ist nur zu ‚lösen’, in dem man es, mit Goethe zu reden, in ein Postulat verwandelt. Ein Absolutes muss gelten, damit Wahrheit sein kann.
Proiectio per hiatum irrationalem ist ein ‚posi/tiver’ Begriff.
Der Idealist kann seine Prämissen ebenso wenig beweisen wie der Realist die seinen; noch können sie die Prämissen der Gegenseite widerlegen.
Sind darum Idealismus und Realismus gleich gültig und gehören ‚synthetisch’ unter einen Hut, wie Schelling meinte?
Nein, denn anders als der Idealist kann der Realist seine Aufgabe nicht erfüllen. Er kann uns niemals bis zu der Stelle führen, wo aus dem ‚Ding’ ein Wissen von dem Ding wird.
Der Idealist kann uns nicht die Stelle zeigen, wo aus dem Wissen von den Dingen ein Ding ‚an sich’ hervor geht.
Das muss er aber auch nicht. Gemeinsam ist beiden diese Prämisse: Es gibt ein Wissen von… Dieses Wissen gilt es, aus einem Grund zu erklären. Das kann der Realist mit seiner zweiten Prämisse – ‚von den Dingen her’ – nicht. Der Idealist kann es: aus der Intentionalität des Wissens selbst. Ob die Dinge außerdem noch ‚an sich’ sind, ist für ihn kein theoretisches Problem. Es ist ein praktisches Problem: Ohne Vertrauen auf die Wirklichkeit der Welt kann sich das wirkliche irdische Individuum in seiner Welt nicht einen Tag behaupten. Die Wirklichkeit der Welt ist ein Axiom des gesunden Menschenverstands.
Der Idealist kann seine zweite Prämisse, die phänomenale Gegebenheit des Wissens, nur ‚aus ihr selbst’ begründen, nicht aus einem ihr vorgegebenen Grund. Das ist theoretisch aber auch nicht nötig. Er behauptet ja gerade die Immanenz des Wissens. Ein Absolutes ‚hinter’ dem phänomenalen Wissen braucht er nicht.
Das wirkliche irdische Individuum ist es, das sich dabei nicht beruhigen kann. Um sein Leben zu führen, braucht es ein Kriterion. Es muss sich rechtfertigen, nämlich vor sich. Und wiederum ist es der gesunde Menschenverstand, der eingreift: Das Wahre, Absolute, Gültige, kurz: der Sinn ist sein praktisches Postulat.
Ein Hiatus ist allerdings der Sprung aus der theoretischen in die Lebensphilosophie. Es gibt zwischen den beiden keinen Übergang. Das Reich des Seienden kann das Sollen nicht aus sich hervor bringen.
Es war der Vorwurf des Atheismus, der Fichte getrieben hat, seine gottgefällige Lebensphilosophie aus dem theoretischen System der Wissenschaftslehre her zu leiten; eben den Weg zu beschreiten, den er sich in den Rückerinnerungen… verboten hatte. Ein hiatus irrationalis liegt allerdings vor – es ist der Bruch zwischen der ursprünglichen Wissenschaftslehre von 1794-99 mit den Rückerinnerungen als ihrer ‚praktischen’ Quintessenz, und den Wissenschaftslehren nach 1801. Es gibt keine Brücke zwischen der Philosophie, die, wenn sie wissenschaftlich ist, nur „kritisch und negativ“ verfährt, und den praktischen Anweisungen zum seligen Leben. Der Sinn, das Wahre, das Absolute ist ein notwendiges Postulat der Lebensführung, eine „Idee“ – so wie das Ich, sofern es einen positiven Sinn hat, ‚nur eine Idee’ ist. Die Lehre von der Lebensführung mag zur Urheberin der theoretischen Philosophie werden, indem sie die Kritik am metaphysischen Schein erforderlich macht. Die theoretische Philosophie ist, mit Kant zu reden, ein Katharktikon des Verstandes.
Doch die Umkehrung gilt nicht. Die Lebensführung findet ihren Stachel im Ästhetischen.
Übrigens – praktisch werde die Philosophie nur an der Stelle, wo sie pädagogisch wird, heißt es in den Rückerinnerungen. Aber eben auch das nur kritisch; indem sie nämlich lehrt, was zu unterlassen ist!
Bildsamkeit, als solche, ist der Charakter der Menschheit.
J. G. Fichte, Gesamtausgabe, Bd. I/3, S. 379
Der Philosoph hat gar keinen Gott und kann keinen haben, er hat nur einen Begriff vom Begriff oder der Idee Gottes. Gott und Religion gibt es nur im Leben, aber der Philosoph ist als solcher kein ganzer lebendiger Mensch, sondern im Zustande der Abstraktion; und es ist unmöglich, daß jemand nur Philosoph sei.
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Johann Gottlieb Fichte, Rü[c]kerinnerungen, Antworten, Fragen, Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 130
Eigentliche Philosopheme einer Transzendentalphilosophie sind an sich tot und haben gar keinen Einfluß in das Leben, weder guten noch bösen; ebenso wenig als ein Gemälde gehen kann. Auch ist es ganz gegen den Zweck dieser Philosophie, sich den Menschen als Menschen mitzuteilen. Der Gelehrte als Erzieher und Führer des Volks, besonders der Volkslehrer, soll sie allerdings besitzen, als Regulativ, als pädagogische Regel, und nur in ihm werden sie insofern praktisch; nicht aber sie ihnen selbst mitteilen, welche sie gar nicht verstehen noch beurteilen können. (Man sehe meine Sittenlehre.) Aber daß er sie treu und mit Eifer anwende, wird dieser gute Wille schon vorausgesetzt, aber nicht etwa durch sie hervorgebracht: ebenso wie bei dem Philosophen von Profession Unparteilichkeit, Wahrheitsliebe [und] Fleiß schon vorausgesetzt, nicht aber durch sein Philosophieren erst erzeugt wird.
aus: Johann Gottlieb Fichte, Rückerinnerungen, Nachfragen, Antworten in: Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 134
Ausdrücklich und ganz bestimmt durch das Nichtphilosophieren, d. h. dadurch, daß man zur philosophischen Abstraktion sich nie erhoben oder von der Höhe derselben sich wieder in den Mechanismus des Lebens [und] gemeinen Denkens hineinversetzt, entsteht uns alle Realität; und umgekehrt, sowie man sich zur Spekulation erhebt, verschwindet diese Realität gänzlich. Nun ist das Leben Zweck, keinesfalls das Spekulieren; das letztere ist nur Mittel. Und es ist nicht einmal Mittel, das Leben zu bilden; es liegt in einer ganz anderen Welt. Was auf das Leben Einfluß haben soll, muß selbst aus dem Leben hervorgegangen sein. Es ist lediglich Mittel, das Leben zu erkennen.
Worin man befangen ist, was man selbst ist, kann man nicht erkennen; man müßte aus demselben herausgehen, aufhören, es zu sein, sich auf einen Standpunkt außerhalb desselben stellen. Dieses ist die Spekulation; dieser Standpunkt außer dem wirklichen Leben kein Satz einer Philosophie, die sich selbst kennt, ist in dieser Gestalt, noch verlangt zu sein, ein Satz für das wirkliche Leben; sondern er ist entweder ein Hilfssatz des Systems, um weiter fortzuschreiten, oder, wenn die Spekulation über einen Punkt des Nachdenkens geschlossen [ist], ein Satz, zu dem erst die Empfindung und Wahrnehmung hinzukommen muß, um im wirklichen Leben brauchbar zu sein. Die Philosophie, selbst [wenn] vollendet, kann die Empfindung nicht geben, und diese ist das ein[z]ige wahre ist sie. Nur inwiefern es diesen höhern Standpunkt und diese beiden entgegengesetzten Standpunkte gab, ist es dem Menschen möglich, sich selbst zu erkennen. Man kann leben und vielleicht der Vernunft ganz gemäß leben, ohne zu spekulieren; man kann leben, ohne das Leben zu erkennen. Aber man kann das Leben nicht erkennen, ohne zu spekulieren. Also – inneres Lebensprinzip.
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Johann Gottlieb Fichte, Rückerinnerungen, Nachfragen, Antworten in: Gesamtausgabe Bd. II/5, S. 118ff.
Im praktischen Felde geht die Einbildungskraft fort ins Unendliche, bis zu der schlechthin unbestimmbaren Idee der höchsten Einheit, die nur nach der vollendeten Unendlichkeit möglich wäre, welche selbst unmöglich ist.
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Johann Gottlieb Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, PhB S. 138
Der Bilder und die Zitate gefallen mir nicht schlecht. In der Bundeshauptstadt Berlin auf den Spuren FICHTES zu wandern – das legt sich direkt nahe. Es ist direkt wohltuend, einmal schöne Zitate von FICHTE zu lesen. Nur eine Sentenz würde ich auf keinen Fall unterschreiben: Ich zitiere: „….In der WL 04/2 versucht Fichte, Jacobi zum Trotz, auf real-idealistischen Wegen ein absolutes Reale ‚her’ zu leiten; auf abenteuerlichen Wegen!
Doch Jacobi hatte Recht. Der idealistische Regress muss einmal abgebrochen werden. Das ‚Problem’ des Absoluten ist nur zu ‚lösen’ …….“ Das ist ein Missverständnis von FICHTE. Aber prinzipiell finde ich den Blog ganz gut. MfrGr, Franz Strasser, Österreich.
frastr said this on Juli 12, 2009 um 12:41 pm |
Hat er Jacobi missverstanden? Habe ich Fichte missverstanden? WAS ist ‚ein Missverständnis Fichtes‘?
Good spell said this on Juli 12, 2009 um 12:52 pm |
Pardon, habe mich wirklich missverständlich ausgedrückt. Als ich es wegsandte, war es schon zu spät. Ich meinte genitivus objectivus – Jacobi hat Fichte missverstanden. So gut und fruchtbar Jacobi für Fichte anfangs war, traute er ihm leider nicht ganz. Dies war aber nicht persönlicher Natur, er hatte, nach der historischen-kritischen Analyse der Gesamtausgabe der Fichte Werke, ein prinzipielles Misstrauen gegenüber der Vernunft. Einer seiner (Jacobis)Romane spricht das an. Es gibt auf das Thema Missverständnis (bei Jacobi) einen schönen Brief von Frichte, wo er, wie nebenbei seine Philosophie beschreibt: Meine Philosophie ist von Anfang bis Ende eine einzige Analyse von Freiheit.
Nähere Belege könnte ich liefern.
frastr
frastr said this on Juli 25, 2009 um 11:18 am |
Na, das Zitat zeigt doch eher, dass Jacobi den F. ganz richtig verstanden hat. Er wollte nun mal die Freiheit nicht, der Glaube war ihm sicherer. Vielleicht kann man den Unterschied beider ‚Systeme‘ so beschreiben: Der eine wollte die Sicherheit frei Haus geliefert haben (weil er wohl dem eigenen Vermögen nicht viel zutraute), der andere dachte, die Sicherheit müsse er sich selbst erarbeiten. Nur – während F. vor dem Atheismusstreit noch der romantischen (existenzialistischen?) Annahme zuneigte, mit der Arbeit an der Sicherheit könne es sich verhalten wie mit dem Versuch, über den eignen Schatten zu springen, hat er danach dem J. und sich selber ‚demonstrieren‘ wollen, dass er längst ‚all do‘ ist.
Ich möcht Sie im Übrigen noch auf ein anderes Blog hinweisen: http://jogofichte.wordpress.com
Groterjan said this on Juli 26, 2009 um 8:38 am |