Die philosophische Wendeltreppe XIII: Unsere Welt und die meine

Alles, was als Tatsache in unserer Welt vorkommt, lässt sich auch bestimmen; nämlich in das allgemeine Bedeutungsgeflecht einpassen, wo Jedem seine Bedeutung durch die Bedeutung aller Andern zugewiesen wird. Reflektieren heißt nichts anderes als: seinen Platz im großen Verweisungszusammenhang aufsuchen.

<Was bestimmt ist, kann Bestandteil einer Wissenschaft werden – weil sich sein logischer Zusammenhang demonstrieren und Einverständnis erzwingen lässt. Was demonstriert werden kann, lässt sich erlernen. Was dagegen ‚durch meine Freiheit möglich‘ wurde, läßt sich eo ipso nicht bestimmen. Es liegt allein in meiner Welt. Ich kann es nicht erlernen, sondern muss es erfinden und mir ein-bilden. Einverständnis der andern kann ich nicht erzwingen, sondern höchstens ihren Beifall heischen: sie animieren, meine ‚Anschauung‘ nach-zu-erfinden.

Das Nacherfinden kann nicht gelehrt werden: dazu muss man verführen, und das ist Kunst. Gegenstand von Wissenschaft kann es nur idiographisch werden: kritisch und historisch.

Erziehen heißt nun, einem Menschen die Dinge zeigen und die Symbole, die ihm die Welt bedeuten. Doch haben die in den Symbolen aufbewahrten Bedeutungen einen andern Realitätsgrad als die Dinge. Sie ’sind‘ ja nur, sofern ich sie gelten lasse. Denn der Mensch ist das Tier, das nein sagen kann (Max Scheler); auch dazu: den Meinungen der Andern. Fragen können heißt, ja oder nein sagen können.

‚Die Welt‘ wird zwar überliefert, aber seine Welt bildet sich jeder selbst. Meiner Welt liegt unsere Welt gewissermaßen zu Grunde. Und unserer Welt liegt meine Welt zu Grunde. Das einemal kategorisch, das andermal genetisch. Dass ich überhaupt darauf komme, die Daten, die mir meine Sinne melden, zu einer „Welt“ zu konstruieren, liegt allein daran, dass ich in die Welt der Andern hineingeboren bin.

Und dass ich vor diesem Horizont meine Welt konstruiere, liegt daran, dass es meine Sinne sind, die mir ‚Daten‘ gemeldet haben, und dass ich sie zu einander fügen muss. Dass ich meine Welt konstruieren muss, liegt an den Andern. Dass es diese Welt sein wird, liegt… an meinen Sinnes-Daten, die dadurch, dass ich eine Welt aus ihnen baue, zu meinen überhaupt erst werden!

„Ich“ konstruiere eine Welt. Es wird meine Welt sein: Darum bin ich Ich. Und in dem Maße, wie ich hernach meine Welt mit der Welt der Andern ins Benehmen setze, werde ich Verstand beweisen, Ernst des Lebens, Sozialkompetenz und so weiter. Wie weit ich die eine von der andern durchdringen lasse, entscheidet darüber, wohin ich mein Leben führen kann und wo ich scheitern muß.


~ von Panther Ray - November 5, 2008.

8 Antworten to “Die philosophische Wendeltreppe XIII: Unsere Welt und die meine”

  1. […] es darüberhinaus eine ‚objektive’ Welt gibt, zu welcher die Einzelnen ihre Privatwelten ‚ins Verhältnis setzen’, liegt daran, daß […]

  2. […] ist dagegen eine Privatangelegenheit und gehört in “meine Welt”, wenn ich so sagen darf. Erstens geht sie nur mich selber an. Wenn ich zweitens darüber hinaus […]

  3. […] ist dagegen eine Privatangelegenheit und gehört in “meine Welt”, wenn ich so sagen darf. Erstens geht sie nur mich selber an. Wenn ich zweitens darüber hinaus […]

  4. […] Lebensweisheit ist dagegen eine Privatangelegenheit und gehört in “meine Welt”, wenn ich so sagen darf. Erstens geht sie nur mich selber an. Wenn ich zweitens darüber hinaus […]

  5. […] ist dagegen eine Privatangelegenheit und gehört in “meine Welt”, wenn ich so sagen darf. Erstens geht sie nur mich selber an. Wenn ich zweitens darüber hinaus […]

  6. Ich hätte eine Frage und zwar von welchem Künstler das letzte Bild ist.. Ich würde gerne mehr über den Künstler und seine Interpretation bzw. Denkensweise erfahren.
    Würde mich sehr freuen, wenn sie mir weiterhelfen könnten.

    Liebe Grüße

  7. Der Holzschnitt ist erstmals erschienen in:
    Camille Flammarion, L’Atmosphere: Météorologie Populaire (Paris, 1888), Seite 163, und ist seither als „the Flammarion woodcut“ bekannt.

    „The Flammarion Woodcut is an enigmatic woodcut by an unknown artist. It is referred to as the Flammarion Woodcut because its first documented appearance is in page 163 of Camille Flammarion’s L’atmosphère: météorologie populaire (Paris, 1888), a work on meteorology for a general audience. The woodcut depicts a man peering through the Earth’s atmosphere as if it were a curtain to look at the inner workings of the universe.

    The original caption below the picture, (not included here), translated to: ‚A medieval missionary tells that he has found the point where heaven and Earth meet…‘.“

  8. […] ist dagegen eine Privatangelegenheit und gehört in “meine Welt”, wenn ich so sagen darf. Erstens geht sie nur mich selber an. Wenn ich zweitens darüber hinaus […]

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